Foto: Prof. Dr.-Ing. Johannes Schlaich, Beuth Hochschule für Technik Berlin, Fachgebiet Mobilität und Verkehr, Fachbereich III: Bauingenieur- und Geoinformationswesen

Unsere Mobilität wird schon heute sowohl in der Stadt als auch im ländlichen Raum maßgeblich durch die Digitalisierung gestaltet. Shared Mobility, die Verkehrssteuerung des öffentlichen Verkehrs durch Künstliche Intelligenz oder On-Demand-Dienste können langfristig den eigenen Pkw ersetzen. Dabei spielt das Smartphone eine wesentliche Rolle, um die Dienste flexibel zu buchen und zu nutzen. Im aconium Interview „5 Antworten“ beschreibt Prof. Dr.-Ing. Johannes Schlaich, Professor für Mobilität und Verkehr an der Beuth Hochschule für Technik Berlin, die heutige Selbstverständlichkeit von digitalen Anwendungen im Verkehrswesen, das Potential von Shared Mobility und die Bedeutung der sogenannten „letzten Meile“ auf dem Land.

aconium: In welchen Bereichen wird schon heute die Digitalisierung im Verkehrswesen genutzt?
Professor Schlaich: Allein ein Blick auf viele Smartphones zeigt, dass die Digitalisierung längst beim Konsumenten im Verkehrswesen angekommen ist. Viele Menschen verlassen sich bei ihrer täglichen Mobilität auf Navigations-Apps und Routenplaner für die klassische Mobilität im öffentlichen Verkehr (ÖV), mit dem Rad oder mit dem eigenen Auto. Dazu kommen Apps für neuere Mobilitätsformen, wie Car-, Bike- und eScooter-Sharing oder Pkw-basierte On-Demand-Shuttle-Dienste.
Auch auf Seiten der Anbieter passiert im Hintergrund viel, zum Beispiel die intelligente Nutzung von Daten in Verkehrsleitzentralen (Stichwort: Intelligent Transport Systems – ITS) oder die Überwachung der Infrastruktur durch Sensoren und künstliche Intelligenz.

aconium: Inwieweit können digitale Anwendungen zur Weiterentwicklung von Mobilität im ländlichen Raum beitragen und den Alltag der Bürger verbessern?
Professor Schlaich: Tatsächlich findet die Digitalisierung des Verkehrswesens bislang viel in Städten statt. Drei Gründe:

  1. Im ländlichen Raum gibt es noch eine starke Fokussierung auf den eigenen Pkw, mit dem man individuell und ohne Apps reisen kann. Während in Metropolen rund 40 Prozent der Kilometer zu Fuß, mit dem Fahrrad oder dem ÖV zurückgelegt werden, liegt der Anteil in einer Kleinstadt im dörflich-ländlichen Raum nur bei rund 16 Prozent. Rund 84 Prozent der Kilometer werden dort also mit dem Pkw oder Motorrad zurückgelegt. Dies liegt oft vor allem daran, dass der ÖV dort sehr unattraktiv im Vergleich zur Fahrt mit dem eigenen Pkw ist.
  2. Zudem ist die Infrastrukturnutzung oft nicht so kritisch, als dass man durch digitale Lösungen versuchen müsste, die Kapazität zu steigern. Ein Fahrstreifen auf dem Land hat seltener Stau als in Metropolen.
  3. Zu guter Letzt wird die Digitalisierung oft durch private Anbieter getrieben. Und die gehen natürlich erst einmal dorthin, wo es die meisten potenziellen Kunden gibt. Und das sind die Metropolregionen – selbst hier in Berlin nimmt die Anzahl der Anbieter schon beim S-Bahn-Ring ab, weil sich viele Systeme nur in dicht besiedelten Räumen effizient betreiben lassen.

Natürlich liefern aber auch digitale Lösungen wie On-Demand-Shuttle-Dienste gerade im ländlichen Raum einen Mehrwert. Nämlich genau dort, wo der klassische ÖPNV an seine Grenzen kommt. Aufgrund der geringen Nachfrage, die schon allein durch die dünne Besiedelung entsteht, fahren Busse oft mit nur wenigen Fahrgästen pro Bus in unattraktiven 2-Stunden-Takten übers Land. Das ist weder effizient noch ökologisch!
Daher ist es gut und richtig, dass On-Demand-Dienste auf dem Land gefördert werden. Kurzfristig in besonderen Programmen, mittelfristig dann aber auch als eine Alternative zum klassischen ÖPNV. Letzteres beinhaltet auch, dass Kommunen in der Lage sein müssen, statt des klassischen liniengebundenen ÖPNVs auch On-Demand-Dienste zu fördern.

 aconium: Welche Herausforderungen gibt es bei der Einführung von digitalen Anwendungen im Bereich der Mobilität und im Verkehrssektor?
Professor Schlaich: Da gibt es eine Vielzahl von rechtlichen, finanziellen, organisatorischen, technischen und historischen Herausforderungen, die sich stark nach dem jeweiligen Anwendungsfall unterscheiden.
So ist die bestehende Verkehrsinfrastruktur teils sehr alt und nicht auf dem Stand der Digitalisierung, den man erwarten könnte. So kann man beispielsweise einen cleveren Algorithmus zur Steuerung der Lichtsignalanlagen (“Ampeln”) nicht einfach mal implementieren, ausprobieren und dann bei Erfolg in den Dauerbetrieb übernehmen. Oft bedarf es erst umfangreicher, teurer und zeitintensiver Modernisierungen der Lichtsignalanlagen. So etwas bremst die Digitalisierung natürlich aus.
Aber es gibt natürlich auch positive Beispiele, bei denen Herausforderungen überwunden werden. Als Beispiel sei hier “Open Data” genannt. Hier stellen viele Städte das Potenzial ihren Daten der Allgemeinheit zur Verfügung, was wiederum Privatunternehmen ermöglicht, darauf aufbauend spannende digitale Dienste mit Mehrwert anzubieten, die in einer Stadtverwaltung mit anderen Strukturen vermutlich nicht in derselben Geschwindigkeit entstehen könnten.

aconium: Inwieweit können innovative, digitale Mobilitätsangebote wie Shared Mobility zum Umweltschutz beitragen und den öffentlichen Nahverkehr ergänzen?
Professor Schlaich: Wenn man es richtig nutzt, gibt es da ein riesiges Potenzial. Das wichtige ist, dass Shared Mobility wirklich eine Ergänzung zum ÖPNV wird. Die Gefahr ist, dass attraktive Shared-Mobility-Angebote statt ÖPNV-Fahrten genutzt werden. Dann habe ich plötzlich mehr Emissionen, da neben dem ÖPNV noch Shared-Mobility-Fahrzeuge fahren. Daher darf gerade der Hochleistungs-ÖPNV (S-Bahn, U-Bahn) nicht geschwächt werden. Shared-Mobility-Dienste sollten daher vor allem dort aktiv werden, wo der ÖPNV kein gutes Angebot bieten kann. Also oft “die letzte Meile” – beispielsweise den Weg von der S-Bahn-Station nach Hause.
Hier können wir uns nicht darauf verlassen, dass der Markt das von alleine in Richtung einer nachhaltigen Mobilität regelt. Private Mobilitätsanbieter werden das anbieten, wofür die Nutzer bezahlen. Da muss der Staat regulierend eingreifen wie es beispielsweise durch die laufende Novellierung des Personenbeförderungsgesetz passieren könnte.

aconium: Welche Vision haben Sie für die weitere Entwicklung der Mobilität im digitalen Zeitalter?
Professor Schlaich: Die Technologie ermöglicht eine bestmögliche Nutzung von Verkehrsmitteln für unsere Mobilität. Dafür brauche ich kein eigenes Auto oder Fahrrad, sondern vor allem mein Smartphone, über das ich die Angebote angeboten bekomme und buchen kann.
Im Hintergrund muss das aber durch die Gesetzgebung und die Städte in Richtung einer nachhaltigen Mobilität gesteuert werden, indem beispielsweise hohe CO2-Steuern eingeführt werden oder der Straßenraum neu verteilt wird.