Der Landkreis Cham sieht seine Chance in der Glasfaser und baut ein Gigabit-Netz für 18.000 Gebäude. Die Überzeugung kommt nicht von ungefähr: Seit langem setzt die Region in Bayern auf die Digitalisierung – auch in der Daseinsvorsorge.

Kartoffeln und Digitalisierung passen nicht zusammen? Passen sie sehr wohl. Das jedenfalls will der Landkreis Cham unter Beweis stellen und regionale Landwirtschaft besser mit Verbraucher:innen vernetzen. Eine digitale Plattform soll entstehen, die landwirtschaftliche Betriebe, Handel, Gastronomie und Verbraucher:innen gleichermaßen motiviert, mehr regionale Lebensmittel anzubieten beziehungsweise abzunehmen. Das findet Anklang, auch im rund 500 Kilometer entfernten Berlin. Das Bundesinnenministerium unterstützt das auf drei Jahre angelegte Projekt „Digitaler LandGenuss“ im Rahmen des Förderprogramms „Heimat 2.0“ – als digitale Lösung zur Sicherung der Daseinsvorsorge.

Digitale Daseinsvorsorge ist eines der großen Trendthemen, wenn es um die Herausforderungen und Chancen, um die Zukunft des ländlichen Raums geht. Im Landkreis Cham beschäftigen sich Politik und Bürger allerdings schon viel länger mit der Frage, wie sich die Versorgung mit Strom, Wasser, Bürgerdiensten oder Bildung durch technische Innovationen nicht nur aufrechterhalten, sondern verbessern lässt.

„Wir sind schon seit 1996 digital unterwegs“, sagt Klaus Schedlbauer, der als Wirtschaftsreferent des Kreises auch für den digitalen Ausbau zuständig ist. „Damals haben wir die Gemeinden im Landkreis vernetzt“ – über ein gemeinsames Intranet, das Kreisbehörden, Zweckverbände und Außenstellen miteinander verbindet. Es folgte eine kommunale Geodateninfrastruktur, ein Open-Data-Portal und umfassende Online-Dienste für Bürger:innen und die kommunale Wirtschaft.

Die Digitalisierung als Zündfunke für viele Projekte

Der Landkreis Cham illustriert deutlich, wo die Herausforderungen der ländlichen Räume liegen – aber auch, wie man sie als Kommune annimmt und bewältigen kann. Mit seinen 39 Gemeinden gehört der Kreis flächenmäßig zu den fünf größten in Bayern. Die Gemeinden haben teils weniger als 1000 Einwohner:innen, der Weg in die größeren Orte Roding – rund 12.000 Einwohner:innen – oder die Kreisstadt Cham (17.000 Einwohner:innen) ist oft weit. Wie kommen die Menschen von A nach B? Wo ist der nächste Allgemeinarzt, wo die nächste Fachärztin? Gibt es wohnortnahe Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten? Wie sind die Aussichten für die Jüngeren in Bezug auf Schule und Ausbildung?

Wer heute nach Antworten auf diese Fragen sucht, kommt am Wörtchen „digital“ nicht mehr vorbei. Verantwortliche und Bürger:innen in Cham haben schon 2018 ein digitales Leitbild ihres Landkreises erarbeitet. Darin enthalten: ein eigenes Kapitel zur Daseinsvorsorge. Und so ist „Digitaler LandGenuss“ eines von vielen Projekten, die die Digitalisierung als Zündfunken haben.

Inzwischen gibt es beispielsweise drei digitale Gründerzentren im Landkreis. „Wir haben sehr viele Unternehmen aus dem Bereich Zerspanungstechnik in unserer Region“, sagt Wirtschaftsförderer Schedlbauer. „Sie können in den Zentren neue Fertigungstechniken testen, etwa mit Hilfe von 3-D-Druckern.“ Und auf dem Technologie Campus Cham studieren und forschen rund 350 junge Menschen, wie Künstliche Intelligenz im Zusammenspiel mit Mechatronik die Industrieproduktion verändert. Ganz im Sinne der Daseinsvorsorge – Bildung für alle zugänglich zu machen – sind die Gründerzentren keine geschlossene Veranstaltung für die Wirtschaft. „Auch Bürgerinnen und Bürger sollen die Labore und Werkstätten nutzen“, betont Schedlbauer. Der Landkreis habe deshalb sogar Workshops für interessierte Menschen am Technologie Campus geplant.

Digitalisierung spielt auch in den Schulen im Landkreis eine zentrale Rolle. Als erste in Bayern erhielt kürzlich die Grund- und Mittelschule Roding das Gütesiegel Breitband Schulen aus den Händen von atene KOM-Geschäftsführer Tim Brauckmüller. Das Siegel bestätigt Schulen eine nachhaltige IT-Infrastruktur und setzt so den ersten bundesweiten Standard, wenn es um technische Mindestanforderungen geht, die die Schulen für eine digitale Unterrichtstrategie benötigen.

18.000 Gebäude sollen ans Glasfasernetz gehen

Für die Schulen, aber auch um die vielen Mechatronik-Unternehmen, Automobilzulieferer und Maschinenbauer in der Region zu halten und sie für die rund 130.000 Einwohner:innen attraktiv zu machen, baut der Landkreis derzeit mehr als 1.900 Kilometer Glasfaserleitungen. „Wir schaffen eine Datenautobahn für Bürger:innen und Unternehmen“, sagt Schedlbauer, der auch den eigens dafür gegründeten Eigenbetrieb Digitale Infrastruktur leitet. Am Ende werden so rund 18.000 Gebäude mit zukunftsfähiger Gigabit-Bandbreite versorgt sein. Ein Zehntel der rund 180 Millionen Euro, die investiert werden, kommen vom Landkreis und den Gemeinden selbst. Den Rest teilen sich Bund (50 Prozent) und Land (40 Prozent).

Der Clou dabei: Der Hausanschluss – der die künftigen Nutzer schon mal einige Tausend Euro kosten kann – ist beim Ausbauprojekt in Cham kostenlos. „Wir wissen, welche Bedeutung die flächendeckende Versorgung für die Region hat“, erläutert Schedlbauer. Die Wege seien weit, und jeder Weg zum Amt oder zum Arbeitsplatz, den Bürger:innen dank bester Internetversorgung nicht machen müssten, sei auch gut für die Nachhaltigkeit. Denn Mobilität funktioniert in einem flächenmäßig so großen Landkreis wie Cham vor allem über das Auto.

Mobilität für alle durch autonomes Fahren?

Natürlich, weiß auch Schedlbauer, lässt sich nicht jeder Weg virtuell erledigen. Um Alternativen zum privaten Pkw anbieten zu können und damit seiner Verantwortung in punkto Daseinsvorsorge auch bei der Mobilität gerecht zu werden, setzt der Landkreis hier ebenfalls auf digitale Lösungen. „Sie können auf dem Land keinen Zehn-Minuten-Takt erreichen wie in großen Städten.“

Für ein verbessertes Angebot neben Bahn, Bus und Rufbus richten die Verantwortlichen im Landkreis ihren Blick langfristig auf autonome Fahrzeuge. „Das ist schon etwas, wo wir glauben, dass ÖPNV künftig auch auf dem Land kostengünstiger und flexibler zu betreiben ist.“ Vielleicht kommt die neue Technologie dafür ja sogar aus dem Landkreis selbst: Die Firma AVL jedenfalls forscht an ihrem jüngst eröffneten Standort in Roding am autonomen Fahren. Gerade im ländlichen Raum seien solche Systeme ein wichtiger Baustein für die Mobilität der Zukunft, begründet das Unternehmen seine Entscheidung für den Landkreis Cham.

Im November besuchte das atene-Infomobil auf seiner Zukunftsreise den Technologie Campus im Landkreis Cham. Da durfte das Regional-Fernsehen TVA nicht fehlen.