Die Zunahme von Extremwetterereignissen, wie sie im Zuge des Klimawandels inzwischen regelmäßig zu beobachten ist, stellt Städte und Kommunen vor beträchtliche Herausforderungen. Allein in diesem Jahr hatten viele Gemeinden beispielsweise mit Starkregen und Hochwasser zu tun – zuletzt waren im September weite Teile Süddeutschlands von Wassermassen betroffen. Komplett vermeiden lassen sich diese klimatisch bedingten Ereignisse in Zukunft nicht, doch durch Präventionsmaßnahmen lassen sich ihre Folgen für Menschen und Gebäude stark reduzieren, wenn nicht sogar verhindern.
Die Implementierung eines digitalen Zwillings zur Prävention von Hochwasserschäden stellt hierfür eine vielversprechende Technologie für Städte und Gemeinden dar. Speziell im Kontext von Starkregenereignissen bezeichnet ein digitaler Zwilling ein digitales Modell bzw. eine virtuelle Repräsentation eines physischen Systems. Diese Technologie ermöglicht eine detaillierte Simulation und Analyse aktueller Umweltbedingungen, einschließlich Wasserständen, Bodenfeuchtigkeit und Flussströmen, mit dem Ziel, Vorhersagen über potenzielle Hochwasserereignisse zu treffen.
Von der Theorie…
Die Echtzeit-Erfassung von Umweltdaten, beispielsweise zu Niederschlägen und Flusspegelständen, sowie deren Integration in das Modell des digitalen Zwillings ermöglichen die Erstellung präziser Vorhersagen über potenzielle Hochwassergefahren. Er erlaubt die Simulation diverser Szenarien, etwa die Analyse der Auswirkungen von Starkregen oder den Bruch eines Damms. Auf diese Weise lassen sich Gebiete mit erhöhtem Risiko identifizieren, sodass entsprechende Präventivmaßnahmen gezielt ergriffen werden können. Das Modell ermöglicht es Behörden, Notfallpläne zu entwickeln und den Einsatz von Rettungskräften zu optimieren. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, Evakuierungen zu simulieren und die sichersten Rettungsrouten zu betroffenen Gebieten zu ermitteln. Der Einsatz digitaler Zwillinge erlaubt eine optimierte Planung von Schutzmaßnahmen wie Deichen oder Hochwassersperren, da Investitionen gezielt dort getätigt werden können, wo sie den größten Nutzen bringen. Zusätzlich ist die Analyse langfristiger Trends möglich, beispielsweise von Veränderungen im Klima oder in der Landnutzung sowie deren Einfluss auf das Hochwasserrisiko.
… zur gelebten Praxis in Dresden…
In der Landeshauptstadt Sachsens entwickelt das Institut für Wasserbau und Technische Hydromechanik (IWD) seit Mai 2024 einen „Urbanen Digitalen Starkregenzwilling“ – ein virtuelles Modell der Stadt, in dem geografische Daten, speziell die Topografie Dresdens, und städtische Informationen, wie etwa Straßen- und Gebäudetypen, zusammengeführt werden. Über eine für Desktop- sowie Mobilgeräte verfügbare 3D-Web-App können grundlegende Karten- und Flächendaten visualisiert und abgerufen werden. Anwendende erhalten die Möglichkeit, Starkregensimulationen in manuell ausgewählten Stadtbereichen zu starten und die Ergebnisse in Echtzeit zu verfolgen. Dabei lässt sich das Hochwasserrisiko für den gesamten Stadtbereich bis hin zu einzelnen Gebäuden bewerten, um schlussendlich Betroffenheits- und Schadenspotenziale zu berechnen. Diese können die zuständigen Behörden und Privatpersonen bei der Entscheidungsfindung zur Hochwasservorsorge unterstützen.
Der Prototyp auf Basis freier und offener Software liegt nun vor. Er bietet eine vollautomatisierte Erstellung von 2D-Simulationsmodellen, die durch Niederschlagsprognosen des Deutschen Wetterdienstes ergänzt werden können. Darüber hinaus sind auch 3D-Simulationen von Bauwerken wie Brücken möglich. Die Simulationsergebnisse liefern detaillierte Informationen zu Wassertiefen und Fließgeschwindigkeiten in überfluteten Gebieten und können mit städtischen Infrastrukturelementen wie Straßen und Gebäuden verschnitten werden, um potenzielle Gefährdungen genau zu analysieren. Eine besondere Fähigkeit des Systems ist, dass sich die Simulationsmodelle schnell und einfach auf Basis des im Urbanen Digitalen Zwilling verknüpften kommunalen und landesweiten Datenbestands generieren lassen.
Im 2. Quartal 2025 soll die Plattform öffentlich zugänglich gemacht werden. Die vollständige Entwicklung des Urbanen Digitalen Starkregenzwillings ist für Ende 2026 vorgesehen. Eine Weiterentwicklung darüber hinaus wird angestrebt.
… und im Kreis Euskirchen in Zusammenarbeit mit dem WVER
Im Zuge des Katastrophenhochwassers im Juli 2021 haben die Kommunen Blankenheim, Dahlem, Hellenthal, Kall, Nettersheim und Schleiden gemeinsam mit dem Kreis Euskirchen und dem Wasserverband Eifel-Rur (WVER) eine interkommunale Zusammenarbeit ins Leben gerufen. Ziel dieser Kooperation ist es, bis 2026 unter der Leitung des WVER ein umsetzbares Hochwasserschutzkonzept für das Einzugsgebiet der Urft und Olef zu entwickeln. Dieses Konzept soll sowohl einen Hochwasserschutz gewährleisten, der auf ein 100-jährliches Ereignis ausgelegt ist, als auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Extremereignissen verbessern.
Hierfür werden die Landschaft und die nach der Flut neu vermessenen Gewässer digital erfasst und als digitaler Zwilling modelliert. Mithilfe dieser Modelle und Simulationen wird die Effektivität der geplanten Maßnahmen überprüft. Die Entwicklung der Modelle sowie die Durchführung der notwendigen Simulationen werden jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Bis 2026 soll das Hochwasserschutzkonzept für Urft und Olef konkrete Empfehlungen für die Umsetzung liefern.
Somit sind digitale Zwillinge im Hochwasserschutz eine Schlüsseltechnologie für die Zukunft. Sie ermöglichen es Städten und Gemeinden, Risiken besser zu analysieren und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, um den Schutz vor extremen Wetterereignissen zu optimieren. Mit der zunehmenden Verfügbarkeit und Weiterentwicklung solcher Modelle wird es nicht nur möglich, akute Gefahren besser vorherzusagen, sondern auch langfristige Schutzkonzepte zu entwerfen, die die Resilienz gegenüber den Folgen des Klimawandels erheblich stärken. Die erfolgreiche Umsetzung in Projekten wie in Dresden und im Kreis Euskirchen zeigt, dass der digitale Zwilling ein zentrales Element für die nachhaltige Stadtplanung und den effektiven Hochwasserschutz der Zukunft ist.