Auf der aconium GmbH-Zukunftsreise treffen wir Menschen, für die Digitalisierung mehr als nur ein Schlagwort ist. Drei Fragen an Dr. Stefanie Retz, Projektmanagement: Im Projekt „5G-Agrar“ ist geplant, den Einsatz von 5G-Technologien in der nachhaltigen Landwirtschaft zu entwickeln. Im Fokus stehen dabei die Überwachung der Tiergesundheit und ein Nährstoffmanagement der bewirtschafteten Felder. Dabei soll untersucht werden, welche Möglichkeiten es gibt, einen Stall der Zukunft so mit Sensoren zu vernetzen, dass er weitgehend autonom betrieben werden kann.

Was verstehen Sie grundsätzlich unter „Digitalisierung“?

Digitalisierung in der Landwirtschaft und speziell im Stall bedeutet ganz praktisch erst einmal: weg vom Fax und handschriftlichen Zetteln. Vieles an Dokumentation, Kommunikation und Informationsweitergabe läuft tatsächlich noch über analoge Lieferscheine, Stallkarten und das klassische Fax. Eine Digitalisierung der enormen Datenmengen, die im Stall, auf dem Feld und in der Wertschöpfungskette entstehen, führt zu Arbeitserleichterung, Datensicherung und einer Vermeidung von Informationsverlusten und Transparenz. Darüber hinaus entstehen ganz neue Möglichkeiten, verschiedene Daten miteinander in Verbindung zu bringen, zu verknüpfen und so neue Erkenntnisse und damit einen Mehrwert zu generieren. Durch die Digitalisierung und Vernetzung aller Daten vom Elterntier bis zur Mast, vom Futtermittel bis zum Güllefass kann das gesamte Produktionssystem kontinuierlich intelligent und nachhaltig optimiert werden

Beschreiben Sie bitte die Grundidee hinter dem Projekt „5G für nachhaltige Agrarwirtschaft“. Warum kann 5G-Technologie hier der entscheidende Schlüssel sein, um nachhaltigere und effektivere Wertschöpfungsketten in der Agrar- und Ernährungsindustrie zu schaffen?

Der Einsatz von 5G ermöglicht für die Nutztierhaltung und die Lebensmittelproduktion einen bedeutenden Technologiesprung und bietet die Voraussetzungen für eine Transformation der Agrar- und Ernährungswirtschaft in ein nachhaltiges, d.h. sozial, ökologisch, klimafreundlich und ökonomisch resilientes Agrar-Wertschöpfungssystem der Zukunft. Das Projekt „5G Nachhaltige Agrarwirtschaft“ soll durch den Einsatz von 5G mehr Tiergesundheit und Tierwohl sowie geschützte Transparenz vom Hof bis auf den Tisch schaffen. Im Landkreis Vechta ist dafür ein „Reallabor“ eingerichtet worden, in dem die Lebensmittelwertschöpfungsketten Geflügel und Schwein modellhaft im kleinen Maßstab abgebildet und über innovative 5G-Anwendungen miteinander verknüpft werden. Gleichzeitig werden dabei Wirtschaftlichkeitsaspekte ebenso berücksichtigt wie die Themen Datenschutz und -sicherheit.
Durch die multidirektionale Vernetzung der einzelnen Wertschöpfungsstufen werden Daten erhoben, miteinander korreliert und mittels künstlicher Intelligenz (KI) in Echtzeit ausgewertet. Ziel ist die Optimierung von Tierwohl und Tiergesundheit. Durch eine erstmals realisierbare Betriebsbilanzierung entlang des gesamten Wertschöpfungssystems werden redundante und teils noch analoge Dokumentationsroutinen digital auf eine neue Ebene gehoben. Somit wird eine ganz neue Transparenz von „Farm to Fork“ ermöglicht.

Nach welchen Kriterien richten Sie sich bei dem Einsatz von digitaler Technik bei Ihrer Arbeit? Ist digitale Technik, also der Einsatz von 5G-Technologie, die elementare Grundlage oder ein Element von Vielen bei der Entwicklung von Ideen und Mehrwerten zu einer nachhaltigeren Agrarwirtschaft?

Die 5G-Technologie ist ein Element von vielen. In erster Linie muss die Digitalisierung grundsätzlich konsequent umgesetzt werden. Dann ist es von entscheidender Wichtigkeit, die Daten von einem Standort zum nächsten zu bekommen. Zentraler Baustein ist hier die zuverlässige Verfügbarkeit von sehr schnellem und stabilem Internet an wirklich „jeder Milchkanne“. Hier kommt 5G ins Spiel. Um die sehr großen Datenmengen transportieren zu können, muss das Netz entsprechend leistungsstark sein. Und um in Echtzeit z.B. auf Ereignisse im Stall reagieren zu können, müssen Informationen zwischen kommunizierenden Sensoren und Systemen mit entsprechend niedriger Latenz versendet werden.

Welche technologischen Eigenschaften (Bandbreite, Latenz, Anzahl der zu steuernden Endgeräte) des 5G-Standards spielen für Sie bei der Durchführung des Vorhabens eine besonders wichtige Rolle?

Bei den von uns zu entwickelnden Systemen werden viele Endgeräte (Sensoren, Systemsteuerungen, Kameras und Computer oder Smartphones) miteinander sehr schnell kommunizieren müssen. Auf dem Feld spielt hier die Latenz eine wichtige Rolle, im Stall vor allem die Datendichte und das schnelle Zusammenspiel von verschiedenen Endgeräten.

Wagen Sie einen Ausblick: Was sind die nächsten geplanten Schritte im Projekt, bzw. was ist Ihr nächstes großes Ziel?

Aktuell bearbeiten wir verschiedene Use-Cases. Die große Herausforderung ist es, barrierefreie Schnittstellen zwischen vielen Akteuren der Kette und ihren Daten, unterschiedlicher Technik und Systemen zu schaffen. Dies ist Voraussetzung, um z.B. ein Frühwarnsystem für Schwanzbeißen zu entwickeln oder eine automatisierte Steuerung von Lüftungstechnik, welche auf dem Verhalten der Tiere basiert. Ziel ist es dann, diese Use-Cases hoch zu skalieren und damit tatsächlich in die tägliche Praxis der Nutztierhaltung zum Einsatz zu bringen. Dies ist aber erst möglich, wenn die entsprechende 5G-Infrastruktur flächendeckend etabliert und kostengünstig verfügbar ist.