Ein Schlüssel zum Aufbau einer Kultur des Risikomanagements in ländlichen Gemeinden
Von Claire Piqueret Rose, Leitung Smart Cities & Regions, aconium GmbH
Die Häufung von Extremwetterereignissen wie Starkregen und Hochwasser, hat im Herbst 2024 erneut die Verwundbarkeit vieler Regionen in Europa offengelegt. Im September waren weite Teile Süddeutschlands von Überschwemmungen betroffen. Im Oktober waren erneut vor allem kleine Gemeinden, z. B. in Frankreich und Spanien, mit lebensbedrohlichen Ereignissen für die Bevölkerung konfrontiert – begleitet von Kritik an fehlender Vorplanung und ungenügender Transparenz im Katastrophenschutz.
Während sich solche Ereignisse auch in Zukunft nicht vollständig verhindern lassen, können gezielte Präventionsmaßnahmen die Auswirkungen auf Menschen und Infrastruktur erheblich mindern. Insbesondere ländliche Regionen in Europa, auch in Deutschland, stehen vor der Herausforderung, ihre technische und organisatorische Ausstattung für den Katastrophenschutz nachhaltig zu verbessern.
Smartes Hochwasser- und Starkregenmanagement
Zur Erstellung von Katastrophenschutzplänen bietet die Implementierung eines Digitalen Zwillings zur Prävention von Hochwasserschäden eine vielversprechende Methode – auch für kleinere und ländliche Gemeinden. Er ermöglicht eine detaillierte Erfassung und Pflege von Gebietsinformationen, was eine präzise Analyse und proaktive Planung im Katastrophenschutz unterstützt.
Speziell im Kontext von Starkregenereignissen bezeichnet ein Digitaler Zwilling ein digitales Modell bzw. eine virtuelle Repräsentation eines physischen Systems[1]. Die Echtzeiterfassung von Umweltdaten, beispielsweise von Niederschlagsmengen und Flusspegelständen, sowie deren Integration in den Digitalen Zwilling ermöglichen die Erstellung präziser Vorhersagen über potenzielle Hochwassergefahren. Die Simulation diverser Szenarien, wie zum Beispiel die Analyse der Auswirkungen von Starkregenfällen oder dem Bruch eines Dammes, ermöglicht es vorbeugende Maßnahmen gezielt zu ermitteln. Auch Notfallpläne und der Einsatz von Rettungskräften können mithilfe des Digitalen Zwillings optimiert werden. Evakuierungen lassen sich simulieren und sichere Rettungsrouten zu betroffenen Gebieten ermitteln.
Kommunikation mit Bürger:innen führt zum Aufbau einer Risikokultur
Vor der Katastrophe: Aktive Sensibilisierung der Bevölkerung
Im Bereich des Katastrophenschutzes gilt es, die Kommunikation vor und während des Notzustands zu unterscheiden. Bürger:innen müssen einen transparenten Zugang zu Informationen erhalten. Dafür sollten regelmäßige Informationsveranstaltungen zum Thema organisiert sowie Inhalte pädagogisch und in leicht verständlicher Form bereitgestellt werden.
„To raise awareness about risks and their evolution due to climate change, experts and public authorities should meet people where they are—both conceptually, by acknowledging and addressing their concerns, and practically, by engaging with them in their daily environments, such as workplaces, social activities, neighborhoods, and community events.“
Zitat von Dr. Cassandre Rey-Thibault, Forscherin im Bereich Risiko- und Krisenmanagement at Sciences Po Paris[2]
Klassische Flyer, Videos oder Checklisten sind Beispiele für solche Materialien, um eine breite Zielgruppe anzusprechen. Unterrichtsmaterialien, Ratgeber und Checklisten stellt das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) online zur Verfügung[3]. Das BBK hat zudem das Onlinespiel „Max & Flocke: Jagd auf Dr. Superschreck“ entwickelt, um zu zeigen, wie man sich in Notsituationen richtig verhält[4]. Als weitere Maßnahme können z. B. auch Live-Übungen durchgeführt werden. In Frankreich existiert beispielsweise ein verpflichtender Krisenplan mit detaillierten Maßnahmen (PPMS)[5] für jede Schule samt jährlicher Übung. E-Learning-Module oder sogenannte Serious Games (dt.: Planspiele) wie das französische „Plonevez-les-Flots“ [6] oder „Stop Disaster“ [7] (entwickelt von der UN), vermitteln Eckdaten und wesentliche Inhalte des Katastrophenschutzplans spielerisch und verstehen sich als bewährte pädagogische Methoden zur Sensibilisierung.
Neben der Sensibilisierung der Bevölkerung und der Verwaltung sollten laufend Erfahrungen und gewonnene Erkenntnisse aus vergangenen Katastrophen aufrechterhalten werden. Dadurch entsteht ein Ansatz, der weg vom reinen Top-down-Informationsfluss hin zur lokalen Animation einer geteilten Risikokultur führt.[8]
Während der Katastrophe: Digitale & analoge Meldungen
Während einer Katastrophe ist es wichtig, dass Warnungen schnell und direkt bei der Bevölkerung ankommen, z. B. direkt auf dem Smartphone. Hierfür eigenen sich beispielsweise die Smart-City-Apps der Kommunen oder das Cell- Broadcast-Verfahren, das sich als effektives Warnmittel etabliert hat. Nordrhein-Westfalen ist in Deutschland Vorreiter bei dessen Einsatz.[9]
Beim Cell-Broadcasting ist es essenziell, dass Kommunen eigene Warninhalte erstellen können, was beispielswiese in Frankreich nicht der Fall ist.[10] Ein weiteres wichtiges Warnmittel ist ein gut ausgebautes Sirenennetz. Momentan wird dies in Deutschland erweitert.
Intra- und interkommunale Zusammenarbeit im Hochwasserschutz
Der Aufbau eines Digitalen Zwillings ermöglicht es außerdem, Datensilos zwischen verschiedenen Abteilungen aufzulösen, Daten zentral zugänglich zu machen und für Analysen und Simulationen zu nutzen. So entsteht eine institutionalisierte Zusammenarbeit mit beschleunigten Verwaltungsprozessen.
Um einen effizienten Hochwasser- und Katastrophenschutz zu realisieren, sollte auf der richtigen territorialen Ebene gehandelt werden. Häufig ist eine interkommunale Zusammenarbeit erstrebenswert oder unabdingbar. Kommen gemeinsame Entwicklungen auf Landkreisebene nur langsam voran, können Kooperationen auf Gemeindeverbundebene oder zwischen Nachbarstädten angestrebt werden. Diese können zu einem späteren Zeitpunkt auf interkommunaler Ebene skaliert werden. Frühzeitige Kooperation fördert die Interoperabilität der erarbeiteten Lösungen sowie einen schnellen Informationsaustausch und gegenseitige Unterstützung.
Umsetzungsbeispiel der Nachbarstädte Deggendorf und Plattling
Ein Beispiel sind die Nachbarstädte Deggendorf und Plattling, die mithilfe des Förderprogramms „TwinBy – Digitale Zwillinge für Bayern“ des Bayerischen Staatsministeriums für Digitales an einem zukunftsfähigen Katastrophenmanagement arbeiten. Die aconium GmbH begleitete die beiden Städte bei diesem Vorhaben – sowohl bei der Use-Case-Entwicklung als auch bei der technischen Umsetzung.
Fazit
Um das volle Potenzial Digitaler Zwillinge auszuschöpfen, müssen sie als zentrale Grundlage für eine umfassende territoriale Diagnose anerkannt werden. Gleichzeitig ist es notwendig, regulatorische Instrumente weiterzuentwickeln und eine langfristige Risikokultur aufzubauen. Die frühzeitige und kontinuierliche Einbeziehung der Bevölkerung sowie unterschiedlicher Interessensgruppen bleibt essenziell, um Notfallpläne effizient umzusetzen.
Quellen:
[1] https://aconium.eu/digitaler-zwilling-im-hochwasserschutz-eine-zukunftsweisende-technologie-zur-schadensminimierung-und-risikoanalyse/
[2] Freigegebenes Zitat aus dem vom Claire Piqueret Rose geführten Interview am 19. Dezember 24.
[3] https://www.bbk.bund.de/DE/Warnung-Vorsorge/Sicherheit-durch-Vorsorge/Materialien-Hochwasser/materialien-hochwasser.html?nn=20098#vt-sprg-4
[4] https://www.max-und-flocke-helferland.de/DE/Spielen/spielen_node.html#doc79024bodyText1
[5] Plan particulier de mise en sûreté (PPMS), https://www.education.gouv.fr/bo/2023/Hebdo26/MENE2307453C
[6] https://www.risques-cotiers.fr/seformer/miseensituation/
[7] https://www.undrr.org/children-and-youth/stop-disasters-game
[8] https://www.cerema.fr/fr/actualites/culture-du-risque-clefs-mieux-impliquer-populations
[9] https://www.bbk.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/02/pm-20-1-jahr-cell-broadcast.html?nn=85578
[10] https://www.senat.fr/questions/base/2022/qSEQ221003354.html