Sie ist Querschnitts- und Schlüsseltechnologie mit disruptivem Potenzial und beginnt bereits heute, alle Gesellschaftsbereiche zu verändern. Auf dem Digital-Gipfel 2018 in Nürnberg ist die immens wachsende Bedeutung Künstlicher Intelligenz (KI) erneut deutlich geworden. Besonders auffällig war die Breite der diskutierten Themen. KI wirkt auf allen Ebenen. Sie berührt den Alltag des Einzelnen ebenso wie die Spitzenforschung; die Unterhaltungsindustrie ist betroffen, aber auch die Sicherheit der Welt.
Infrastruktur
Als Basis ist die digitale Infrastruktur für die Implementierung von KI unerlässlich. Aber nicht nur Netzgeschwindigkeiten, Netzabdeckung und Geräteausstattung – also die Hardware – sind entscheidend. Mit Blick auf die Einsatzszenarien von KI ist auch ein weltweiter Kampf um die Softwareinfrastrukturen entbrannt, die unter dem Stichwort Plattformökonomie die Entwicklung der B2C-Märkte und damit die Wertschöpfung bestimmen. Auch kommunale Infrastrukturen und die Anforderungen an sie wandeln sich in Zeiten der Digitalisierung und bedürfen neuer Konzepte.
Mobilität
Die vergangenen Jahre haben gezeigt: Digitalisierung reduziert Mobilität nicht. Das massive Mobilitätswachstum weltweit und das gesellschaftliche Bedürfnis nach mehr Nachhaltigkeit erfordern neue Konzepte für Transport, Logistik und Personenverkehr. Unter Einsatz von Sensorik und intelligenten Steuerungen bietet KI Lösungen für bessere Kapazitätsauslastungen und multimodale Mobilitätssysteme.
Gesundheit
In der Medizin werden Big Data und KI-basierte Entwicklungen bereits heute umfassend eingesetzt. Sie helfen bei der Visualisierung und Interpretation von Krankheitsbildern. Insbesondere bei der Früherkennung von Krebs kommt KI eine wichtige Rolle zu. Ihr Einsatz führt zu einer Präzisionsmedizin und damit zu individualisierten Behandlungsmöglichkeiten. Dabei ist festzuhalten – und das gilt ebenso für alle anderen Bereiche in denen KI eine Rolle spielt: Der Mensch bleibt die letzte Instanz. KI ist nur eine Technologie, die Entscheidungshilfen verbessert.
Verwaltung
Im Bereich der öffentlichen Verwaltung geht es zunächst um die Digitalisierung von Daten. Ein Ziel ist beispielsweise, Bürgern mehr Komfort bei der Erledigung der zahlreichen Behördengänge anzubieten. Insgesamt 575 Verwaltungsdienstleistungen sollen deshalb in Deutschland bis 2022 digitalisiert in einer Art Bürgerportal zur Verfügung stehen – ein wesentlicher Faktor für gleichwertige Lebensverhältnisse. Die riesigen Datenmengen lassen sich mit Hilfe von KI-basierten Algorithmen für strukturpolitische Erkenntnisse und Planungen nutzen. E-Government ist damit nicht nur ein Service für die Bürger, sondern wird zur Entscheidungshilfe für Behörden.
Bildung
Digitale Bildung ist der Schlüssel für die Anwendung und Beherrschung von KI. Bereits in der Schule muss ein Verständnis für die Veränderungen der Digitalisierung geschaffen werden. Für nahezu alle Berufsfelder wird es künftig wichtig sein, KI zumindest grundlegend zu verstehen. Ebenso wird der Alltag der Menschen in Zukunft von zahlreichen KI-basierten Anwendungen durchdrungen sein, die es zu verstehen und einzuordnen gilt. Die grundlegende Funktionsweise Künstlicher Intelligenz muss daher bei der Ausgestaltung von Bildung mitgedacht werden. Kai Garrels (ABB Stotz-Kontakt) plädierte in Nürnberg beispielsweise dafür, das „Denken in Systemen“ gezielt in der Schule zu vermitteln.
Arbeit
Wie bei vorangegangenen technologischen Revolutionen (Rad, Dampfmaschine, Fließband) zeigt sich die disruptive Wirkung von KI nirgends so deutlich wie am Arbeitsmarkt. Einige Studien sprechen von über einer, manche von über drei Millionen Jobs, die durch den Einsatz von KI in Deutschland in den kommenden Jahren verlorengehen könnten. Das Positive: ebenso viele könnten hinzukommen. Diesen Transferprozess der Arbeit gilt es zu moderieren, zu organisieren und gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu erarbeiten. Dazu müssen Aus- und Weiterbildung an die Erfordernisse der digitalen Gesellschaft angepasst werden. In einem ersten Schritt sind dazu zügig neue Berufsbilder zu deklinieren und neue Arbeitsmodelle zu etablieren.
Internationaler Fokus
KI ist eine globale Technologie. Auf dem Digital-Gipfel 2018 thematisierten viele Vorträge und Diskussionen das Verhältnis von Technologie, Markt und Rahmenbedingungen in Deutschland bzw. Europa, den USA und Asien. Tenor: Deutschland hat gerade durch seine erfolgreiche Industrie und den starken Mittelstand beste Voraussetzungen, um den grundlegenden Wandel hin zu Industrie 4.0 erfolgreich zu gestalten. Dies leuchtet ein, gerade wenn man an das Internet der Dinge (Internet of Things, IoT) denkt. Deutschland ist mit vielen, auch mittelständischen „Hidden Champions“ im weltweiten Vergleich sehr gut aufgestellt und produziert seit Jahren erfolgreiche Produkte. In Zukunft wird es im globalen Wettbewerb auf die gelungene Verbindung von Software und Hardware und die Implementierung Künstlicher Intelligenz ankommen. Die Wirtschaft arbeitet aktuell bereits intensiv an der intelligenten Verknüpfung von Maschinen, Ersatzteilen und hergestellten Produkten.
Daten und Bedenken
Damit Deutschland und Europa im internationalen Vergleich mithalten können, müssen vor allem noch einige Hürden bezüglich der Verwendung von Daten genommen werden. Die Balance zwischen Datenverfügbarkeit und Datenschutz ist entscheidend für die Umsetzung digitaler Strategien und die Akzeptanz der KI-basierten Entwicklungen bei den Bürgern. Derzeit halten noch 59 Prozent der Menschen Anwendungen wie das Smart Home für nicht sicher, sagte Christin Eisenschmid (Intel Deutschland) in Nürnberg. Nicht nur der Politik, auch den Unternehmen kommt an dieser Stelle eine erweiterte Verantwortung zu. Es gilt, die Kunden, die Konsumenten, die Bürger mitzunehmen, ihnen die Vorteile digitaler Anwendungen für den konkreten Lebensalltag zu verdeutlichen und Vertrauen aufzubauen. Grundlage für dieses Vertrauen sind Verantwortung und Transparenz. Corporate Digital Responsibility wird zum Vertrauensverständnis der digitalen Gesellschaft.
Zukunft und Lösungsansätze
Die Zukunft ist nicht aufzuhalten, sie muss gestaltet werden. Für Entwicklungen aus dem Bereich KI ist es angesichts ihrer disruptiven Wirkung entscheidend, die Verknüpfung zwischen technologischem Vorteil und den Optionen für die Menschen zu moderieren und zu realisieren. Mit Blick auf die globale Herausforderung Künstliche Intelligenz ist Politik in Zusammenarbeit mit Wirtschaft und Wissenschaft gefordert, Veränderungsprozesse zu gestalten und zuzulassen. Die Lösungsansätze sind vielschichtig:
- Disruptive Technologien wie KI erfordern Testfelder, „Reallabore“ für disruptive Innovationen, wie Peter Altmaier (Bundesminister für Wirtschaft und Energie) und Prof. Sabina Jeschke (RWTH Aachen) in Nürnberg übereinstimmend forderten.
- Es bedarf europaweiter Vernetzung für den Wissenstransfer. Im digitalen Zeitalter weiß niemand alles. Das gilt nicht nur für Verwaltung und Bildungseinrichtungen. Viele Unternehmensvertreter warben auf dem Digital-Gipfel für eine Zusammenarbeit über Firmengrenzen hinweg. „Coopetition“ – das gleichzeitige Kooperieren und Konkurrieren wird in Zukunft in vielen Branchen zu beobachten sein.
- Ein Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg KI-basierter Technologie sind Plattformökonomien. Hier hat Europa Nachholbedarf. Die erfolgreichen global operierenden digitalen Plattformen (u. a. Google, Amazon, Alibaba, Airbnb) kommen derzeit ausschließlich aus Asien und den USA. Ziel sollte es sein, einen oder mehrere solcher Anbieter in Europa zu etablieren, so die einhellige Meinung.
- Ein konkreter Ansatz für Regionen steht damit in Zusammenhang. Die Idee: Kommunen könnten selbst Plattformanbieter werden. Sie sind nah dran an den Bürgern, kennen die Bedarfe und könnten Daten und Inhalte bereitstellen und so verschiedene digitale/digitalisierte Sektoren (Energie, Mobilität, Arbeit, Gesundheit) koppeln. Dabei benötigen sie Unterstützung. Wichtig auch: Erfolgreiche Konzepte und Plattformen müssen nicht von jeder Kommune neu erfunden werden. Stattdessen sollten einzelne Erfolgsmodelle, die Vorreiter wie die Digitalstadt Darmstadt nutzen, übertragen.
- Um KI mit all ihren Vorteilen zu etablieren ist Partizipation entscheidend. Zu große Skepsis, zu viele Bedenken sind Hindernisse für den Fortschritt. Politik, Wirtschaft und Wissenschaft müssen die Menschen einbeziehen, ihnen die Angst nehmen, Vorteile einfach und verständlich erklären und besonders die Datennutzung transparent gestalten.
- Europa muss eigene ethische Grundsätze für den Einsatz von KI und die Verwendung von Daten erarbeiten. Regeln, die es der Wirtschaft erlauben, erfolgreich zu sein, die aber das europäische Werteverständnis spiegeln. Mit einer menschenzentrierten KI, einem „dritten Weg“ in punkto Datenethik, ließe sich, das betonten neben Bundeskanzlerin Angela Merkel viele weitere Akteure auf dem Digital-Gipfel 2018, womöglich ein globaler Wettbewerbsvorteil erzielen.
Am Ende muss KI dem Menschen dienen. Der wird durch KI übrigens nicht unsterblich, aber gesünder, wie Prof. Joachim Hornegger (Präsident der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg) in Nürnberg deutlich machte.
Titelfoto: Am Digital-Gipfel 2018 in Nürnberg nahmen rund 1.100 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft teil. Nürnberg, 3. und 4. Dezember 2018.
Fotos unten: Eindrücke vom Digital-Gipfel 2018. Nürnberg, 3. und 4. Dezember 2018.
Fotocredit: aconium GmbH