Städte und Gemeinden in Deutschland stehen mit der eigenen Digitalisierung vor einer großen Herausforderung – unabhängig von ihrer geografischen Lage oder der Einwohnerzahl. Mit dem voranschreitenden Ausbau der Gigabit-Infrastruktur, der auch vom Bundesförderprogramm Breitband unterstützt wird, bereiten sich die Kommunen auf ihre digitale Zukunft vor. Darauf aufbauend müssen die analogen Prozesse in den Regionen umgewandelt werden – in digitale Anwendungen der Kommunen für die Bürger. Damit dies in der Praxis funktioniert, brauchen Städte und Gemeinden eine durchdachte und praxistaugliche Digitalstrategie.
Bei einer Digitalstrategie – auch Digitale Agenda oder Smart City-Strategie genannt – handelt es sich um eine Mehrjahresplanung, die für alle Aspekte der Digitalisierung einer Kommune den Status quo definiert, angestrebte Ziele nennt, Maßnahmen formuliert und Prioritäten für die Umsetzung festlegt. Die Digitalstrategie kann dabei alle Bereiche von Städten oder Gemeinden umfassen: Verwaltung, Bildung, Mobilität, Wirtschaft, Tourismus, Gesundheit, Energie sowie Kultur und Freizeit.
Viele Städte und Gemeinden in Deutschland haben bereits begonnen, eigene Digitalstrategien zu entwickeln und umzusetzen. Laut dem Smart-City-Atlas des Bitkom e.V. und dem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE) werden in den Strategien hauptsächlich Maßnahmen für die Digitalisierung der Verwaltung (98 Prozent), der Mobilität (90 Prozent) sowie dem Umwelt- und Energiesektor (86 Prozent) geplant.
Eine Digitale Agenda muss auf die lokalen Besonderheiten und die spezifischen Bedürfnisse der jeweiligen Stadt oder Gemeinde eingehen. Dazu sollte die Kommune den aktuellen Stand der eigenen Digitalisierung evaluieren, zu digitalisierende Bereiche auflisten und anschließend konkrete Maßnahmen ableiten und priorisieren. Dieser Überblick über kommunale digitalpolitische Ziele bildet die Grundlage für eine eigene Digitalstrategie.
Drei ganz unterschiedliche Digitalstrategien sollen im Folgenden vorgestellt werden: der Ansatz der Großstadt Leipzig, die Digitale Agenda der Stadt Arnsberg und das Digitalisierungskonzept der interkommunalen Kooperation Amt Hüttener Berge. Alle drei haben gemeinsam, dass sie ihre Strategien parallel zum laufenden, vom Bund geförderten Breitbandausbau entworfen haben, um schnell mit der Digitalisierung der Prozesse und Services beginnen zu können.
Leipzig: Der projektbasierte Ansatz
„Es gibt zwei Stränge der Digitalisierung: Zum einen die Digitalisierung der Stadt von innen heraus, sprich der Verwaltung. Zum anderen die Digitalisierung der Stadt im Stadtgebiet. Dort haben wir in 2015 das EU-Projekt Triangulum mit dem Laborraum Leipziger Westen angesetzt“, erklärt Dr. Beate Ginzel, amtierende Leiterin „Referat Digitale Stadt“ in Leipzig. Seit 2015 ist der Leipziger Westen ein Anwendungsgebiet für Smart City-Lösungen. Die sächsische Großstadt mit insgesamt fast 600 000 Einwohnern verfolgt dabei einen projektbasierten Ansatz: „Das Projekt Leipziger Westen war unser Laborraum, um in den Smart City-Prozess einzusteigen. Daraus entwickelten sich viele integrierte Einzelprojekte, die beispielhaft zur Digitalisierung der Stadt Leipzig beitragen“, so Dr. Beate Ginzel.
Die Digitalisierung des Leipziger Westens wird dabei vom EU-Projekt Triangulum im Rahmen des Programms Horizon 2020 gefördert. Am Triangulum-Projekt sind sechs europäische Städte beteiligt, die sich regelmäßig über ihre Erfahrungen und Fortschritte auf dem Weg zur Smart City austauschen. Zwar wurde durch das EU-Projekt im Westen der Stadt ein klar definierter räumlicher Rahmen gesetzt, doch die Digitalisierungsvorhaben wirken sich auf ganz Leipzig aus, wo derzeit der vom Bund geförderte Breitbandausbau voranschreitet. „Gerade bei Digitalprojekten lassen sich die Maßnahmen nicht nur auf einen Stadtteil beschränken, aber es hat geholfen, erste Ideen zunächst für einen kleinen Raum zu entwickeln“, sagt Dr. Beate Ginzel.
Die Digitalisierungsprojekte in Leipzig werden unter der Leitung des Aufbaustabs „Referat Digitale Stadt“ zusammen mit den kommunalen Stadtwerken oder Verkehrsbetrieben, dem Kompetenzzentrum der Universität Leipzig und den Bürgern entwickelt und umgesetzt. „Digitalisierung ist ein Querschnittsthema, an dem alle Arbeitsgruppen der Stadt beteiligt sind: Mobilität, Energie, Bildung und viele andere. Daraus ergeben sich die Handlungsfelder, in denen wir Digitalisierungsmaßnahmen als Projekte umsetzen wollen“, sagt Dr. Beate Ginzel.
Ein wichtiger Aspekt ist zum Beispiel die Einführung des E-Governments. Schon heute können die Leipziger Bürger Personenstandsurkunden – wie Geburts- oder Eheurkunden – online beantragen, ohne sich einloggen zu müssen. Hotels oder Besitzer von Ferienwohnungen können über ein angelegtes Profil im Bürgerportal die eingenommene Gästetaxe melden. Diese und zukünftige Verwaltungsleistungen der Stadt Leipzig können die Bürger über das Serviceportal des Freistaates Sachsen Amt24 abrufen. Damit beginnt Leipzig mit der Umsetzung des 2017 verabschiedeten Onlinezugangsgesetzes (OZG). Das OZG verpflichtet Bund und Länder dazu, die vielzähligen bereits existierenden Verwaltungsportale miteinander zu verknüpfen und bis 2022 in einem Portalverbund zusammenzuführen.
Auch strukturell passt Leipzig seine Verwaltung an das digitale Zeitalter an: Im April 2019 wurde das Dezernat „Wirtschaft und Arbeit“ in „Wirtschaft, Arbeit und Digitales“ umbenannt und innerhalb dessen das neue Referat „Digitale Stadt“ gegründet. „Für die Gestaltung der digitalen Transformation braucht es übergreifende Strukturen und Gremien innerhalb der Verwaltung. Auf Beschluss der Bürgermeister haben wir ein Konzept für das neue Referat „Digitale Stadt“ entwickelt“, erklärt Dr. Beate Ginzel. Mit diesem Referat hat Leipzig eine zentrale Koordinierungsstelle für alle Digitalisierungs- und Innovationsthemen in der Stadt.
Tipps für Digitalstrategien von Dr. Beate Ginzel, Leipzig:
„Die Digitalisierung ist ein unheimlich komplexer Prozess. Es hilft aber sehr, damit verbundene Risiken und Ängste zu diskutieren und in Relation zu setzen, wenn man konkrete Projekte vor Augen hat. Der Digitale Wandel im Allgemeinen ist zu groß und zu schwer zu fassen. Um etwas zu erreichen, sollten Maßnahmen so konkret wie möglich gemacht und dann in einzelnen Projekten umgesetzt werden. Wichtig ist es, einfach anzufangen.“
Arnsberg: Die akteursorientierte Strategie
„Die Digitalisierung birgt gerade für Bürger, Unternehmen und für die Kommunen – vor allem in ländlichen Regionen – enorme Chancen“, sagt Karin Glingener, Leitung Stabsstelle „Digitale Stadt“ der Stadt Arnsberg in Nordrhein-Westfalen. Um diese Chancen nicht zu verpassen, baut die 78 300 Einwohner-Stadt im Hochsauerlandkreis mithilfe des Bundesförderprogramms die Breitbandversorgung aus und erarbeitete gleichzeitig eine Digitalisierungsstrategie.
Im September 2015 stellte die Stadt Arnsberg ihre Digitale Agenda #ARNSBERGdigital vor und veröffentlichte sie in Form des Grünbuchs „Digitale Agenda 2015-2020“. Seitdem wurde die Strategie weiterentwickelt: „Die akteursorientierte Digitale Agenda Arnsberg aus dem Jahr 2015 wurde im Rahmen der Strategie „Arnsberg 2030“ fortgeschrieben“, sagt Karin Glingener. Der Schwerpunkt der Digitalen Agenda ist aber geblieben:
„Die Verbesserung der digitalen Infrastruktur in der Stadt Arnsberg sowie die Erbringung und Unterstützung digitaler Leistungen stellt auch ein wesentliches Ziel im Rahmen der Strategie „Arnsberg 2030“ dar.“
Die Maßnahmen aus Arnsbergs Digitaler Agenda werden nacheinander umgesetzt. Je mehr Nutzen ein Projekt stiftet, umso höher wird es priorisiert. Bisher hat die Stadt im Sauerland unter anderem 50 freie WLAN-Hotspots in Einzelhandel und Gastronomie eingerichtet sowie eine Bürger-App programmiert, über die die Bürger öffentliche Sitzungsunterlagen der Stadt einsehen können. Zudem können Services wie das Ausleihen von E-Books, der Kartenvorverkauf für Kulturveranstaltungen und die Anmeldungen für die Kita oder Tagespflege digital erledigt werden. Bei allen Projekten befragt die Stadt zunächst Bürger, Vereine und Unternehmen, um Vorschläge oder Zweifel bei der Umsetzung berücksichtigen zu können. „Neue technische Lösungen sind schließlich kein Selbstzweck, sondern müssen den Bürgern dienen und dazu beitragen, die Lebens- und Standortqualität zu verbessern“, erklärt Karin Glingener.
Im nächsten Schritt soll das digitale Bürgerportal der Stadt Arnsberg online gehen. „Das Service-Portal, das auch eine E-Payment-Funktion beinhaltet, geht jetzt in die finale Testphase“, so Karin Glingener: „Das Portal wird dann sukzessive um immer mehr Dienstleistungen ergänzt. Vorhanden sind aktuell bereits zum Beispiel: die Beantragung von Wohngeld, eines Bewohner-Parkausweises sowie einer Familienkarte, die Anforderung von Urkunden aus dem Geburten-, Ehe-, Lebenspartnerschafts- und Sterberegister oder die Gewerbeanmeldung, -abmeldung und -ummeldung.“ Damit soll das Bürgerportal zukünftig zur zentralen Service-Plattform für die Einwohner der Stadt Arnsberg werden.
Damit sich unabhängig von den digitalen Maßnahmen, die die Stadt Arnsberg selbst umsetzt, weitere Digitalisierungsprojekte entwickeln können, hat die Stadt ein Open-Data-Portal eingerichtet. In dieses Portal werden städtische Daten in offenen Formaten zur Weiterbearbeitung eingestellt. Dazu gehören digitale Informationen zu Haushaltsplanungen und Jahresabschlüssen der Stadt, GEO-Daten zu Bebauungsplänen und weitere Datensätze aus der Stadtverwaltung. Damit bietet Arnsberg privaten Unternehmen die Möglichkeit, die frei verfügbaren Daten nutzerfreundlich zu visualisieren oder in neue Anwendungen für die Bürger einzubinden. So kann auch die Privatwirtschaft dazu beitragen, Arnsberg zu einer digitalen Stadt zu machen.
Tipps für Digitalstrategien von Karin Glingener, Arnsberg:
„Vergleiche zwischen Kommunen in Deutschland anzustellen ist schwierig, da die Voraussetzungen für die Kommunen sehr unterschiedlich sind. Das gegenseitige Lernen von anderen Kommunen ist innerhalb der kommunalen Familie aber stark ausgeprägt, insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Kommunen benötigen Unterstützung, um Mehrwerte generieren und die digitale Kompetenz und Vernetzung der Akteure vor Ort fördern zu können. Damit ist der Austausch mit anderen Kommunen eine ganz klare Chance.“
Amt Hüttener Berge: Der dreistufige Digitalisierungsprozess
„Von der digitalen Agenda über die digitale Werkstatt zur digitalen Region.“ Unter diesem Leitsatz steht die Digitalisierung des Amts Hüttener Berge in Schleswig-Holstein. Der Verband aus 16 Gemeinden hat den Digitalisierungsprozess damit in drei Stufen eingeteilt. „Im Moment befinden wir uns in der digitalen Werkstatt. Die Digitale Agenda ist abgeschlossen“, sagt Andreas Betz, Amtsdirektor des Amts Hüttener Berge. Rund 200 Akteure haben von August 2017 bis Mai 2018 an der Formulierung und Verabschiedung von „Hüttis Digitaler Agenda“ mitgewirkt – darunter Vertreter aus der Verwaltung und der Bevölkerung. Seit August 2018 wird in der „digitalen Werkstatt“ an der Umsetzung der formulierten Maßnahmen gearbeitet. Bei diesem Prozess wird das Amt Hüttener Berge vom europäischen Projekt „CORA – COnnecting Remote Areas with digital infrastructure and services“ aus dem „Interreg IV B North Sea Region Programm (2014-2020)“ unterstützt. Das norddeutsche Amt profitiert hier vom Erfahrungsaustausch mit 17 weiteren europäischen Partnern und der gemeinsamen Entwicklung digitaler Lösungen.
Diese Inspirationen aus Europa werden im Amt Hüttener Berge mit den Wünschen der Einwohner kombiniert. In mehreren Feedbackrunden können Verwaltungsmitarbeiter und Bürger regelmäßig Anregungen äußern. „Damit stellen wir sicher, dass die Angebote später auch den Bedürfnissen der Nutzer entsprechen“, so Andreas Betz: „Die Bevölkerung konnte von Anfang an Hinweise geben, was sie möchte. Als Erstes wurde die dringende Bitte nach einem zentralen Mobilitätsportal geäußert. Damit hat das Portal „Hütti macht mobil“ oberste Priorität.“ In dem Portal können sich die Nutzer in Zukunft effiziente Fahrverbindungen vorschlagen lassen, die amtseigenen Elektroautos – genannt Dörpsmobile – mieten oder Mitfahrgelegenheiten organisieren.
Das Herzstück der zukünftig digitalen Region Amt Hüttener Berge soll „Hüttis Bürgerportal“ werden. Die Einwohner können sich dort einloggen und erhalten Zugang zu den digitalen Angeboten. Dazu zählen Bürgerservices wie die Beantragung eines Ausweises oder das Melden des Wasserzählerstands. Auch Veranstaltungen in der Region sowie Dokumente aus Sitzungen der Gemeindevertretung werden hier für die Nutzer aufgelistet. Zudem wird das Mobilitätsportal über diese Plattform zu erreichen sein. Die Voraussetzung für die digitalen Bürgerservices ist schnelles Internet – zum einen für die Verwaltung, zum anderen für die Bürger des Amts Hüttener Berge. Daher wurde in der Region zwischen 2017 und 2018 ein schnelles Breitbandnetz mit finanzieller Unterstützung vom Bundesförderprogramm Breitband ausgebaut.
Besonders groß geschrieben wird im Amt Hüttener Berge die Bürgerbeteiligung. Im Rahmen des Digitalisierungsprozesses, aber auch darüber hinaus ist die Amtsdirektion an den Meinungen der Bürger interessiert. So soll die Partizipationsplattform „Hütti wir machen mit“ Anregungen und Meinungen der Bürger einholen. „Wir möchten eine kultivierte Diskussionskultur etablieren. Jeder Einwohner aus dem Amt Hüttener Berge kann sich einloggen und auf dieser Plattform öffentlich seine Meinung sagen“, erklärt Andreas Betz. Wünsche, Kritik und Umfragen können dann über diese Plattform online mitgeteilt und initiiert werden. „Wir hoffen, dass so auch die jüngeren Bürger angeregt werden, mitzureden und mitzugestalten.“
Der Rückhalt unter den Einwohnern für die Digitalisierung des Amts Hüttener Berge ist in jedem Fall groß: „Ich habe Mails bekommen, in denen es hieß: Toll, was Sie auf die Beine stellen, Sie bringen unsere Region voran. Das freut uns natürlich sehr“, so Andreas Betz.
Tipps für Digitalstrategien von Andreas Betz, Amt Hüttener Berge:
„Zuerst sollten sich Kommunen externe Hilfe holen und eine Mehrjahresplanung entwerfen. Diese muss alle angedachten Maßnahmen enthalten und gemeinsam mit der Bevölkerung und der Politik entwickelt werden. Die Bürger mit in die Planung einzubeziehen, ist ganz wichtig. Als Nächstes müssen die Maßnahmen gemeinsam mit der Politik und der Verwaltung priorisiert und anschließend mit Zwischenzielen abgearbeitet werden.
Da die Entwicklung unseres Bürgerportals aufgrund eines Kooperationsvertrages mit dem Land Schleswig-Holstein finanziell getragen wird, haben alle öffentlichen Verwaltungen aus
dem Bundesland die Möglichkeit, das Portal als Service für die eigenen Bürger anzubieten. Gleiches gilt für die Partizipationsplattform „Hütti wir machen mit“, sobald diese online geht. Wir laden also alle Kreise, Städte, Ämter und Gemeinden aus Schleswig-Holstein ein, das gemeinsam entwickelte Bürgerportal und die Partizipationsplattform zu übernehmen und an das eigene Look and Feel der Kommune anzupassen.“
Bei allen drei Digitalstrategien wird deutlich, dass die erfolgreiche Digitalisierung einer Stadt oder einer Gemeinde keine Frage ihrer Größe ist. Auch kleine Verwaltungen können eine passende Digitale Agenda entwickeln und Digitalisierungsprojekte umsetzen, um so weitere Schritte in Richtung digitaler Kommune zu gehen.