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Aus der herkömmlichen Landwirtschaft wird im Zuge der Digitalisierung die intelligente Landwirtschaft – genannt Smart Farming. Dr. Stefan Stiene vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) erklärte der aconium GmbH bereits, wie Künstliche Intelligenz (KI) die Agrarwirtschaft verändern wird. In diesem Interview beleuchtet Ralf Kalmar, Business Area Manager für Smart Farming beim Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering (IESE), die Bedeutung von Smart Farming für mittelständische landwirtschaftliche Betriebe und betont die Notwendigkeit einer umfassend vernetzten Agrarwirtschaft.

aconium: In welchem Ausmaß hat Smart Farming bereits Einzug in die deutsche Landwirtschaft gehalten?
Ralf Kalmar: Es gibt zahlreiche Lösungen von verschiedenen Anbietern, insbesondere im betrieblichen Datenmanagement. Tendenziell werden diese mehr von Lohnunternehmern oder größeren Betrieben eingesetzt, da sie moderne Maschinen und Anbaugeräte erfordern. Lösungen für Anbauplanung und Automatisierung sind bereits in einer gewissen Breite verfügbar (z.B. GPS-gesteuerte Maschinenbedienung, automatische Pflanzenschutzmitteldosierung, drohnengestützte Schädlingsbekämpfung, Fernerkennung durch Satelliten usw.). Daneben gibt es Lösungen zur Unterstützung betrieblicher Prozesse, Dokumentation und Buchhaltung. Diese sind allerdings häufig an einzelne Hersteller gebunden und insbesondere für den Einsatz in kleineren Betrieben zu aufwändig. Viele Lösungen des Smart Farming sind noch Insellösungen, die je nach Einsatzzweck eigenständig funktionieren und nicht miteinander oder gar anbieterübergreifend vernetzt sind.

aconium: Welche Bereiche der Landwirtschaft können darüber hinaus zukünftig digitalisiert werden?
Kalmar: Es gibt noch einige Lücken und Brüche, das heißt Unverträglichkeiten zwischen Systemen, sodass der Landwirt heute noch Mehrfachaufwand hat – zum Beispiel bei der Dokumentation oder Datenübertragung zu Vertragspartnern. Auch ist es für mittelständische Dienstleister schwierig, sich mit neuen Produkten zu integrieren, das heißt es fehlt ein ‚Marktplatz‘ für Daten und Dienste. Viel Potenzial steckt auch noch in der weiteren Wertschöpfungskette bis hin zum Endverbraucher. Weitere Möglichkeiten liegen im Aufbau und Zusammenschluss von IoT-Systemen (Internet of Things). So kann beispielsweise die automatisierte Informationsgewinnung durch Sensorik noch stark ausgebaut werden.

aconium: Vor welchen Herausforderungen stehen landwirtschaftliche Betriebe, die Smart Farming-Lösungen einführen wollen?
Kalmar: Derzeit wissen Landwirte oft nicht, womit sie starten sollen und haben Angst, sich zu sehr an einen Anbieter zu binden. Vertrauen in Datenschutz und Datensicherheit gehört auch dazu – hier tun viele Firmen noch zu wenig beziehungsweise kommunizieren ihren Standpunkt nicht optimal. Verfügbare Digitalisierungslösungen einzelner Hersteller unterstützen noch nicht das gesamte Ökosystem an Maschinen und landwirtschaftlichen Prozessen. Hohe Aufwände für einzelne, zum Teil isolierte Lösungen bei überschaubarem Nutzen für kleinere Betriebe verzögern die umfassende weitere Digitalisierung. Es gibt allgemein den Wunsch, digitale Lösungen möglichst umfassend und prozessübergreifend nutzen zu können. Die landwirtschaftliche Arbeit ist im Prinzip ein Kreislauf mit vielen Bestandteilen (z.B. dem Nährstoffkreislauf); deshalb bringen digitale Lösungen, die nur Teile davon berücksichtigen, einzelnen Landwirten noch nicht ausreichenden Nutzen.

aconium: Was muss geändert werden, damit Landwirte diese Herausforderungen überwinden können?
Kalmar: Wünschenswert wäre eine offene interoperable Plattform. Hier sind neben den Betreibern der derzeitigen Plattformen auch die Länder gefragt, die zum Beispiel für ihre Geoinformationen bisher noch keine einheitliche Lösung bereitstellen. Das Hauptaugenmerkt sollte unserer Meinung nach auf das Aufbrechen von Grenzen zwischen Herstellern, Systemen und landwirtschaftlichen Prozessen gelegt werden. Kann ein Landwirt seine digitale Lösung übergreifend einsetzen, beispielsweise für seinen gesamten Arbeitszyklus und Maschinenpark, wird das die Bereitschaft zur Umsetzung erhöhen. Die Digitalisierung muss weiter in der Breite betrieben werden, um Landwirten eine umfassende und nicht nur punktuelle Unterstützung anbieten zu können.

aconium: Was wünschen Sie sich für das Smart Farming der Zukunft?
Kalmar: In einem idealen Szenario unterstützt die Technik den Landwirt bei der Interaktion mit digitalen Systemen, sodass dieser jederzeit flexibel wählen kann, nach welchen Gesichtspunkten er seinen Betrieb führt, und bei komplexen oder unliebsamen Aufgaben eine individuelle automatisierte Unterstützung erfährt. In der Automatisierung von Maschinen und betrieblichen Prozessen – wie beispielsweise der Dokumentation – liegt eine große Chance für die Landwirtschaft, die Effizienz zu steigern und dabei auch die Produktqualität und ökologische Nachhaltigkeit zu verbessern, etwa durch reduzierten, da optimierten Einsatz von Pflanzenschutzmitteln. Alle punktuellen Fortschritte in der Digitalisierung werden allerdings keinen großen Fortschritt mit sich bringen, wenn sie nicht optimal und umfassend miteinander vernetzt sind. Die optimale Digitalisierung muss es schaffen, dem Landwirt und allen anderen Teilnehmern im landwirtschaftlichen Ökosystem integrierte Lösungen anzubieten, die die heutigen Grenzen zwischen Herstellern und betrieblichen Bereichen aufbrechen. Dazu gehört auch die Transparenz für den Verbraucher und die Möglichkeit für die Politik, Rahmenbedingungen leichter festzulegen und die Folgen genauer abschätzen zu können. Für die weitere Innovation ist es unabdingbar, dass ein solches Ökosystem offen ist und allen Teilnehmern und Herstellern die gleichen Chancen bietet.

Mehr zur digitalen Transformation in der Landwirtschaft im Fach-Dossier der aconium GmbH: