Was man von Schweden lernen kann: Wie kann in Deutschland der Roll-out echter Open-Access-Glasfasernetze gelingen?

Mikael Häußling Löwgren (Schwedische Glasfaser-Allianz) beschreibt in seinem Beitrag wie regional verortete Glasfaserprovider in Deutschland aus den Erfahrungen schwedischer Anbieter lernen können und warum ein Open Access-Modell der Schlüssel für eine erfolgreiche FTTH-Vermarktung darstellt. In insgesamt drei Teilen diskutiert der Autor Vor- und Nachteile potentieller Geschäftsmodelle für Stadtwerke und lokale FTTH-Provider und stellt diese ausführlich vor.

Teil 2: Vor- und Nachteile der zwei Geschäftsmodelle

Ich habe bei vielen Gelegenheiten mit deutschen und schwedischen Stadtwerken über die Vor- und Nachteile der beiden Geschäftsmodelle, bzw. über die mit einem Wechsel verbundenen Risiken und Chancen, gesprochen. Dabei habe ich gelernt, wie schwierig es ist, über etwas zu diskutieren, das man nicht kennt – da man die Risiken überbewertet und die Chancen unterbewertet. Deswegen lohnt es sich, über den Tellerrand zu schauen, in diesem Fall nach Schweden, um die Chancen und Risiken besser einzuschätzen. Aus meinen Gesprächen habe ich folgende Schlüsse gezogen:

Das aktive Netz betreiben lassen

  • Schnellerer und einfacherer Einstieg in den Markt: Bereits der Ausbau eines Glasfasernetzes ist etwas ganz anderes als der eines Strom- oder Gasnetzes. Ein Telekommunikationsnetz zu betreiben ist darüber hinaus eine zusätzliche Herausforderung. Mit einem Outsourcingpartner/Plattformbetreiber braucht man sich nur einer der zwei Herausforderungen zu stellen oder anders ausgedrückt: Bei diesem Geschäftsmodell ist weniger Fachwissen nötig – der Partner bringt es ein. Später kann man ggf. den aktiven Netzbetrieb selbst übernehmen.
  • Für kleine Gemeinden mit nicht ausreichend vielen potenziellen Endkunden: Auch in Schweden bieten noch ca. 10 Prozent der lokalen Carrier eine Eigenmarke auf einem geschlossenen Netz an und betreiben nicht selbst das aktive Netz. Das sind die kleinsten Gemeinden. Sie sagen, dass sie keine ausreichenden Skaleneffekte erreichen können. Weiter lassen ca. 40 Prozent der lokalen Carrier ihr aktives Netz durch einen externen Outsourcingpartner betreiben, der eine Vielzahl Dienstleister mitbringt. Das ist die nächstgrößere Gruppe der kleinen Gemeinden.
  • Weniger Personal, niedriger CAPEX: Um sein aktives Netz selbst zu betreiben, benötigt man, außer der Hardware im Netz, IT-Systeme wie z.B. ein Operations Support System (OSS)/Business Support System (BSS) und IT-Personal. Hinzu kommt, dass alle Gründer bei Null beginnen und es Zeit braucht, bis das nötige Volumen erreicht ist. Das ist logisch und in einem Investitionsgeschäft eine Herausforderung, die für Outsourcingspricht. Es ist auch eine Kapitalfrage. Daher lautet die Frage: Ab wann rentiert es sich? Ein lokaler Carrier in Schweden berichtete dazu, dass er 2008 drei Angestellte hatte, um sein aktives Netz selbst zu betreiben. Damals hatte er 3000 angeschlossene Kunden. 2019 hatte er 15mal so viele angeschlossene Kunden, aber der Personalzuwachs für den Netzbetrieb betrug nur fünf weitere Angestellte. Derartige Skaleneffekte wird ein Outsourcingpartner nie abgeben oder ermöglichen.

Das aktive Netz selbstbetreiben

  • Skaleneffekte bzw. die höhere Marge bei Umsatzwachstum selbst behalten: Für den Eigenbetrieb muss wie oben beschrieben in Personal, Büro, Software und Hardware investiert werden. In Schweden betreiben heute 53 Prozent der lokalen Carrier ihr aktives Netz selbst. Das sind die lokalen Carrier in den größeren schwedischen Gemeinden mit einer durchschnittlichen Bevölkerungsanzahl von ca. 80.000 Einwohner (ab 25.000 bis 1.000.000). Daraus können wir den Schluss ziehen, dass es sich auch für die deutschen lokalen Carrier, z.B. Stadtwerke in Gebieten mit einer ähnlichen Bevölkerungszahl, lohnen würde, den eigenen aktiven Netzbetrieb voranzutreiben.
  • Flexibilität bei neuen Dienstleistungen oder den Mehrwert leichter erreichen: Betreibt man sein Netz selbst, hat man bessere Kontrolle über interne Abläufe/ Prozesse, kann flexibel reagieren und leichter neue Dienstleistungen aufnehmen oder neue Bündelprodukte mit anderen Produkten der Stadtwerke in Kombination mit einem offenen Glasfasernetzangebot schnüren. Man ist besser in der Lage, lokale Start-ups zu fördern und so den Standort attraktiver zu machen, oder „kommunale Dienstleistungen“ wie Intelligente Netze, Intranet, Smart City, „digitales Rathaus“, Gesundheitswesen und Bildung zu unterstützen. Alles in allem ist die Freiheit größer und das vereinfacht es, den Kunden attraktive Angebote anzubieten.

Viele Marken und Produkte anderer Dienstleister statt ein eigenes White-Label-Produkt

  • Der lokale Carrier muss keine neue Marke etablieren und pflegen: Mit Open Access – auf der Ebene von aktiven Vorleistungsprodukten – ist der lokale Carrier (Stadtwerk) ein reiner Infrastruktur-Anbieter, ohne eigene Marke und Dienste. So hat er eine einfachere Marktposition und ist sozusagen aus der Schusslinie des Tagesgeschäfts mit Endkunden. In Deutschland wie in Schweden sind die Stadtwerke lokal bekannte, vertrauenserweckende Infrastruktur-Betreiber. Eine Marke gegen andere Marken in einem freien Markt zu positionieren, ähnelt eher dem Einzelhandelsgeschäft und kostet Ressourcen und Kapital. Es ist einfach ein ganz anderes Geschäft.
  • Besserer Take-up und höhere Netzauslastung: Viele Endkunden möchten Dienstleister wählen dürfen und auch wechseln können, wenn sie mit ihrem derzeitigen unzufrieden sind. Wenn viele Dienstleister in den Markt eingestiegen sind, wie es seit einigen Jahren in Schweden der Fall ist, dann kommt es zu einem zweiten Wachstumsschub. Dann kann man auch Kunden, die einen besonderen Anbieter haben möchten, diesen anbieten. Vielfalt fördert den Konsum.
  • Besserer Hebel im Wettbewerb: Die Wettbewerber der lokalen Carrier in Schweden sind die, die auch ein eigenes Netz besitzen. Dazu gehören vor allem die schwedische Telekom und der große schwedische Kabelnetz-Betreiber ComHem. Ein offenes Glasfasernetz bringt, wie oben beschrieben, neue, netzunabhängige Dienstleister (Dienstleister ohne ein eigenes Glasfasernetz) in den Markt und das wiederum lässt die großen etablierten Telekommunikationsunternehmen in der Menge unsichtbarer werden – ein marktpsychologischer Vorteil.

Der Artikel wird in dem nächsten aconium-Newsletter fortgesetzt. Erfahren Sie dann welches Geschäftsmodell aus Sicht des Autors für Stadtwerke am geeignetsten scheint.


Von Mikael Häußling Löwgren, Schwedische Glasfaser-Allianz. Die Originalfassung des Beitrags ist in Cable!vision Europe 02/2021 erschienen.

Die Schwedische Glasfaser-Allianz ist eine Initiative des Verbandes „Svenska Stadsnätsföreningen“ für den Wissensaustausch zum Thema Glasfaser zwischen Schweden und Deutschland. „Svenska Stadsnätsföreningen“ ist ein Branchen- und Interessenverband. Die Mitglieder sind lokale Carrier in fast 200 der 290 schwedischen Kommunen sowie 135 Anbieter von Netz-Dienstleistungen und -Ausrüstungen.

Hintergrund der Recherche: Im Frühjahr 2020 starteten die schwedische Glasfaser-Allianz und BUGLAS ein Projekt, eine GAP-Analyse, die die Geschäftsmodelle zwischen den schwedischen lokalen Carriern und den deutschen lokalen Carriern verglichen. Das BUGLAS-Mitgliedsunternehmen Troiline GmbH war am Projekt aktiv beteiligt. Die GAP-Analyse würde für BUGLAS Mitgliedsunternehmen in einem Webbinar vorgestellt und diskutiert.

Mikael Häußling Löwgren ist schwedischer Telekommunikationsingenieur, Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzender der Initiative „Schwedische Glasfaser-Allianz“.Mikael hat mehr als 30 Jahre deutsch-schwedische Vertriebs- und Unternehmenserfahrung. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Entwicklung des zivilen Glasfasermarktes in Schweden und Deutschland. Er kennt sich mit dem Thema in beiden Ländern also sehr gut aus, kann profunde Vergleiche aufstellen und entsprechende Bilanz ziehen.

Schwedische Glasfaser Allianz

Mikael Häußling Löwgren

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Schwedische Glasfaser-Allianz