Was man von Schweden lernen kann: Wie kann in Deutschland der Roll-out echter Open-Access-Glasfasernetze gelingen?

Mikael Häußling Löwgren (Schwedische Glasfaser-Allianz) beschreibt in seinem Beitrag wie regional verortete Glasfaserprovider in Deutschland aus den Erfahrungen schwedischer Anbieter lernen können und warum ein Open Access-Modell der Schlüssel für eine erfolgreiche FTTH-Vermarktung darstellt. In insgesamt drei Teilen diskutiert der Autor Vor- und Nachteile potentieller Geschäftsmodelle für Stadtwerke und lokale FTTH-Provider und stellt diese ausführlich vor.

Teil 3: Welches Geschäftsmodell passt für welche Stadtwerke?

Ein lokaler Carrier in einer großen Stadt mit mehreren hunderttausend Einwohnern in Mehrfamilienhäusern hat in Schweden nicht das gleiche Geschäftsmodell wie ein lokaler Carrier in einer mittelgroßen Stadt (30/40.000 bis 150/200.000 Einwohner). Die lokalen Carrier in noch kleineren Städten haben wiederum ein drittes Geschäftsmodell. In allen drei Modellen bieten die Carrier aber Open Access an, bzw. alle Dienstleister sind zu den gleichen Geschäftsbedingungen diskriminierungsfrei willkommen. Die Dienstleister mit Internet, Telefonie und anderen digitalen Produkte schließen ihre Verträge direkt mit dem Endkunden ab und sie bezahlen den lokalen Carrier eine Vermittlungsgebühr, um ihre Dienstleistungen den Kunden anbieten zu können (siehe Abb. 4).

Lokale Carrier in großen Städten

In Stockholm, einer Stadt mit 976.000 Einwohnern, heißt der lokale Carrier Stokab und in dessen Glasfasernetz gibt es über 100 Netzbetreiber und Dienstleister. Der lokale Carrier erreicht heute, nach über 25 Jahren Netzausbau, 90 Prozent der Mehrfamilienhäuser sowie Büro und Geschäftshäuser in Stockholm. Sein Glasfasernetz ist an mehrere nationale und globale Knotenpunkte angeschlossen. Stokab hat fast 400 eigene Kollokationsräume und 23.000 Übergabe- bzw. Terminierungspunkte. Stokab betreib nur das passive Netz und bietet Dark-Fiber-Produkte in zwei Richtungen an: zum einen für Carrier und Dienstleister, zum anderen für die Wohnungswirtschaft und Gewerbekunden. Den Netzbetreibern und Dienstleistern bietet er an, über Stokab fast alle privaten und gewerblichen Kunden in Stockholm zu erreichen, der Wohnungswirtschaft, dass sie über Stokabs Glasfasernetz mehr als 100 Netzbetreiber und Dienstleister erreichen kann. Um eine Wohnungseinheit an Stokabs Glasfasernetz anzuschließen, muss die Wohnungswirtschaft in ihren Immobilien ein NE4-Netz bauen oder ein vorhandenes benutzen. Der Netzbetreiber, der mit dem Verwalter/Eigentümer aus der Wohnungswirtschaft einen Vertrag abschließt, installiert in allen Wohnungen seine CPE. Hat die Wohnungswirtschaft einen Netzbetreiber gewählt, der Open Access auf der Ebene von aktiven Vorleistungsprodukten anbietet, können die Mieter/Wohnungseigentümer aus allen Produkten der vielen Dienstleister frei wählen. Der wirtschaftliche Erfolg von Stokab spricht für sich: 2019 betrug der Umsatz 80 Mio. Euro und der Ertrag 25,4 Mio. Euro. Das muss für den Eigentümer, die Stadt Stockholm, ein zufriedenstellendes Ergebnis sein.

Lokale Carrier in mittelgroßen Städte

In Linköping, einer Stadt mit 160.000 Einwohner, heißt der lokale Carrier Utsikt. In dessen Glasfasernetz gibt es über 20 Dienstleister, die Internet-, Telefonie-, IPTV- und andere digitale Produkte anbieten. Der lokale Carrier erreicht heute 65.000 Haushalte und Unternehmen in den Kommunen Linköping, Mjölby, Katrineholm und Motala. Die Anzahl der Haushalte im Einzugsgebiet mit Zugang zum Glasfaseranschluss liegt bei über 80 Prozent. Utsikt betreibt sein eigenes Glasfasernetz, sowohl das aktive Ethernet mit einer Punkt-zu-Punkt-Struktur (P2P) wie auch das passive Netz mit allen passiven Bauelementen. Er bietet sein Open-Access-Netz– auf der Ebene von aktiven Vorleistungsprodukten – ebenfalls in zwei Richtungen an. Seine hauptsächlichen Kunden sind Einfamilienhauseigentümer, Wohnungswirtschaft und Gewerbekunden. Darüberhinaus hat er einen eigenen Kollokationsraum, an welchem er die Dienstleistung „Telekombetreiberhotel“ anbietet, um Netzbetreibern und Unternehmen Zusammenschaltung und Kollokation in Linköping zu ermöglichen. Die Wohnungseinheiten werden an Utsikts Glasfasernetz angeschlossen, indem der Carrier einen CPE in allen Wohneinheiten installiert. Dagegen baut oder nutzt der Hauseigentümer das NE4-Netz. So kommen die Mieter/Wohnungseigentümer an das Netz und können aus Produkten von Utsikts 20 angeschlossenen Dienstleister frei wählen. Der wirtschaftliche Erfolg des lokalen Carriers Utsikt spricht für sich: 2019 lag der Umsatz bei 23 Mio. Euro und der Ertrag bei 4,7 Mio. Euro. Auch dies sollte für den Eigentümer, die Stadt Linköping, ein zufriedenstellendes Ergebnis sein.

Lokale Carrier in kleinen Städten

In noch kleineren Städten ist es empfehlenswert, einen externen Partner zu haben, der das aktive Netz betreibt. Wo genau die Grenze liegt, ab der man Aktivitäten selbst durchführt, hat mit der Einwohnerzahl, der Bevölkerungsdichte, der Topographie sowie mit weiteren Umständen zu tun. Hier gibt es unterschiedliche Erkenntnisse, aber ein Erfahrungswert ist, dass es sich bei weniger als 30.000 bis 50.000 Einwohnern nicht lohnt, das aktive Netz in Eigenregie zu betreiben. In Schweden wenden sich dann die lokalen Carrier an private Alternativen, Plattformbetreiber oder an andere lokale Carrier und bilden ein gemeinsames Unternehmen. Die Betriebskosten werden geteilt. Zusammengefasst waren es vor allem zwei Faktoren, die in Schweden den Roll-out eines Open-Access-Glasfasernetzes auf der Ebene eines aktiven Vorleistungsproduktes gefördert haben: die Zusammenarbeit der lokalen Carrier, sodass sie wie ein großer, einheitlicher Marktplatz auftreten. Dadurch entstand ein neuer Markt in welchen netzunabhängige Dienstleister im Sinne von Internet Service Providern eintraten. Der Effekt: Die lokalen Carrier bauten sich ein neues Geschäftsmodell auf. Die deutschen Unternehmen können von Schweden lernen und so den Rollout von echten Open-Access-Glasfasernetzen in Deutschland vorantreiben.


Von Mikael Häußling Löwgren, Schwedische Glasfaser-Allianz. Die Originalfassung des Beitrags ist in Cable!vision Europe 02/2021 erschienen.

Die Schwedische Glasfaser-Allianz ist eine Initiative des Verbandes „Svenska Stadsnätsföreningen“ für den Wissensaustausch zum Thema Glasfaser zwischen Schweden und Deutschland. „Svenska Stadsnätsföreningen“ ist ein Branchen- und Interessenverband. Die Mitglieder sind lokale Carrier in fast 200 der 290 schwedischen Kommunen sowie 135 Anbieter von Netz-Dienstleistungen und -Ausrüstungen.

Hintergrund der Recherche: Im Frühjahr 2020 starteten die schwedische Glasfaser-Allianz und BUGLAS ein Projekt, eine GAP-Analyse, die die Geschäftsmodelle zwischen den schwedischen lokalen Carriern und den deutschen lokalen Carriern verglichen. Das BUGLAS-Mitgliedsunternehmen Troiline GmbH war am Projekt aktiv beteiligt. Die GAP-Analyse würde für BUGLAS Mitgliedsunternehmen in einem Webbinar vorgestellt und diskutiert.

Mikael Häußling Löwgren ist schwedischer Telekommunikationsingenieur, Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzender der Initiative „Schwedische Glasfaser-Allianz“.Mikael hat mehr als 30 Jahre deutsch-schwedische Vertriebs- und Unternehmenserfahrung. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Entwicklung des zivilen Glasfasermarktes in Schweden und Deutschland. Er kennt sich mit dem Thema in beiden Ländern also sehr gut aus, kann profunde Vergleiche aufstellen und entsprechende Bilanz ziehen.

Schwedische Glasfaser Allianz

Mikael Häußling Löwgren

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Schwedische Glasfaser-Allianz