Was man von Schweden lernen kann: Wie kann in Deutschland der Roll-out echter Open-Access-Glasfasernetze gelingen?
Mikael Häußling Löwgren (Schwedische Glasfaser-Allianz) beschreibt in seinem Beitrag wie regional verortete Glasfaserprovider in Deutschland aus den Erfahrungen schwedischer Anbieter lernen können und warum ein Open Access-Modell der Schlüssel für eine erfolgreiche FTTH-Vermarktung darstellt. In insgesamt drei Teilen diskutiert der Autor Vor- und Nachteile potentieller Geschäftsmodelle für Stadtwerke und lokale FTTH-Provider und stellt diese ausführlich vor.
Teil 1: Übersicht der Geschäftsmodelle
Das schwedische Erfolgsmodell des Glasfaserausbaus ist beeindruckend: Dort haben bereits über 80 Prozent aller Haushalte einen Zugang zu FTTH/B-Anschlüssen. Lokale Carrier stellen einen großen Teil davon bereit. Wie lassen sich diese Erfahrungen auf Deutschland übertragen und wie können lokale Anbieter, d.h. Stadtwerke, davon profitieren?
In Schweden nahm Anfang der 90er Jahre der erste kommunale Träger seinen Glasfasernetzausbau auf. Heute gibt es ca. 170 kommunalwirtschaftliche lokale Carrier in 200 der 290 schwedischen Kommunen. Sie verfügen zusammen über mehr als 50 Prozent der Glasfaser-Zugangsnetz-Infrastruktur. Durch eine umfangreiche Homogenisierung ist es diesen Carriern gelungen, einen landesweiten Online-Markt für Internet, Telefonie und alle anderen digitalen Produkte zu schaffen, der so die schwedische Telekom (Telia) unter Druck setzen konnte. 2008 gab es im schwedischen Festnetz eine ähnliche Verteilung der Breitband- Anschlussarten wie 2020 in Deutschland: Ca. 70 Prozent waren DSL-Anschlüsse. 11 Jahre später, 2019, gab es in Schweden nur noch 12,2 Prozent DSL-, dafür aber bereits 75,6 Prozent FTTH/B-Anschlüsse (siehe Abb. 1). Wenn man weiß, dass die Marktregeln, vor allem für die marktmächtigen Unternehmen, in Schweden und Deutschland ähnlich sind, und man nicht der Meinung ist, dass die Entwicklung in Schweden auf sozio-kulturelle Bedingungen beruht, dann kann man diese Entwicklung auch für Deutschland prognostizieren. Schweden hat über 25 Jahre Markterfahrung im Glasfaserausbau und Netzbetrieb. Heute haben mehr als 80 Prozent der Haushalte Zugang zu einem FTTH/ B-Anschluss. Die wichtige Erfahrung, die in Schweden gemacht wurde: Die lokalen Carrier konnten die Marktfragmentierung überwinden, weil sie ihre Geschäftsmodelle auf Open Access – auf der Ebene von aktiven Vorleistungsprodukten (Layer 3; Bitstream Access) – anpassten.
Ein Vergleich der Geschäftsmodelle
Am Anfang waren die schwedischen lokalen Carrier vollständig vertikal integriert. Es war also so, wie man es vielfach heute in Deutschland kennt: Die lokalen Carrier bieten selbst unterschiedliche Geschwindigkeiten zu unterschiedlichen Preisen an. Dazu hatte man, wie auch in Deutschland, eine Marke für sein Internetangebot etabliert. Der Aufbau dieses Geschäftsmodells sieht wie folgt aus (siehe auch Abb. 2): Die lokalen Carrier sind Netzeigentümer und betreiben das Netz oder lassen es betreiben und bieten den Endkunden ihre eigenen Dienstleistungen an. Warum haben sie ihre eigenen Dienstleistungen angeboten, oder anders ausgedrückt, warum ließen sie nicht die Produkte anderer Dienstleister, wie Internet-, Telefonie-, IPTV- und andere digitale Produkte (fortan kurz „Dienstleister“), in ihren Netzen zu? Die Antwort liegt auf die Hand: Anfangs gab es außer der schwedische Telekom keinen anderen Dienstleister. Und Telia wollte ihre Dienstleistungen nicht auf anderen Netzen anbieten. Infolgedessen bot man seine eigenen Produkte an. So war es zu Anfang der 90er Jahre. Schon 2004 dagegen sagten 45 Prozent der schwedischen Carrier, sie hätten mittlerweile mehrere Dienstleister auf ihrem Netz. 2014 waren es 73 Prozent und bei der letzten Umfrage 2019 waren es 96 Prozent, die Produkte anderer Dienstleister auf ihren Netzen hatten. Was ist passiert? Die schwedischen lokalen Carrier hatten ihr Geschäftsmodell geändert. Sie bieten heute Open Access auf zwei Ebenen an, wie es Abbildung 3 zeigt. Ein konkretes Beispiel ist der lokale Carrier Utsikt AB in Linköping, einer Stadt mit 160.000 Einwohnern. Auf Utsikts Netz gibt es heute mehr als 20 Dienstleister. Unter diesen findet man heute auch die schwedische und die norwegische Telekom. Die Privatkunden in den angeschlossenen Einfamilienhäusern und Wohnungen können heute aus Produkten dieser Dienstleister frei wählen. Sind sie nicht mit ihrer Wahl zufrieden, können sie mit 30 Tagen Kündigungsfrist zu einem anderen Anbieter wechseln.
Henne oder Ei?
Über Open Access wird in Deutschland viel diskutiert. In Schweden ist dies bereits Standard. Heute gibt es in Schweden viele Dienstleister, die kein eigenes Netz besitzen. Sie bieten ihre Produkte auf vielen oder allen Glasfasernetzen der 170 schwedischen lokalen Carrier an. Auch Telia bietet ihre Internetprodukte auf fremden Netzen und lässt andersherum fremde Dienstleister auf ihrem eigenen Glasfasernetz zu. In Deutschland ist dieses Szenario noch Zukunftsmusik. Viele Stadtwerke in Deutschland fragen sich, woher die vielen Dienstleister kamen und warum Telia eingelenkt hat? Was kommt zuerst, die Anbieter oder der Markt? Der Markt muss zuerst da sein. Hätte die schwedische Telekom freiwillig ihr Netz geöffnet? Nein, erst als viele Kunden zu den lokalen Carriern mit offenen Netzen wechselten, fühlte Telia sich dazu gezwungen. Die ersten offenen Glasfasernetze in Schweden hatten nur einen Dienstleister, den lokalen Carrier selbst. Dann begann einer damit zu werben, dass sein Netz aber nicht wie das Netz der Kabel-TV-Anbieter und Telekom-Konkurrenten geschlossen sei. Der erste Einsteiger auf sein Netz war ein DSL-Anbieter, der seine Internetprodukte unter seiner eigenen Marke auf fremden Glasfasernetzen anbieten wollte. Die Möglichkeit zu einem anderen Dienstleister zu wechseln, ohne die ONT/CPE1 austauschen zu müssen, wurde zum besten Verkaufsargument des lokalen Carriers, da die Kunden die Wahlfreiheit schätzten. Die Veränderung im Markt hatte begonnen: Es folgten weitere Markteinsteigerund andere lokale Carrier kopierten das Erfolgskonzept. Mit vielen Dienstleistern im Markt kam ein erhöhter Wettbewerbsdruck auf, der unter den Anbietern eine höhere Effektivität erzwang und den Kunden niedrigere Preise brachte. Die lokalen Carrier durften sich auch freuen: über eine höhere Netzauslastung. Markttechnisch gesehen ist es ganz einfach: Eine Trennung zwischen Diensten und Netzbetrieb schuf einen Markt. Wenn alle lokalen Carrier so verfahren, entsteht ein großer nationaler Markt. Die Dienstleister können alle angeschlossenen Häuser und Unternehmen im ganzen Land erreichen. Das wiederum bedeutet Skaleneffizienz für den Dienstleister und niedrigere Preise für die Kunden. Technisch heißt das: Derjenige, der das aktive Netz betreibt, der lokale Carrier selbst oder ein Dritter, stellt die ONT/CPE und die anderen aktiven Netzwerkkomponenten, sodass die Endkunden den Dienstleister wechseln können, ohne dass dessen ONT/CPE ausgetauscht werden muss. Der Kunde wechselt den Dienstleister in einem Online-Portal, das er über die Webpräsenz seines lokalen Carriers erreicht. Wo ein Markt entsteht und man Geld verdienen kann, dort werden Unternehmen einsteigen. Die Markteinsteiger waren DSL-Anbieter, IT-/Telekom-Fachleute und Kabel-TV-Anbieter. Sie wurden alle Dienstleister ohne ein eigenes Glasfasernetz, in diesem Sinne netzunabhängige Dienstleister. Erst viel später stieg die schwedische Telekom ein und öffnete danach ihr eigenes Glasfasernetz. Die Lehre aus Schweden lautet also: Wenn die lokalen Carrier ihre Netze auf der Ebene eines aktiven Vorleistungsproduktes öffnen und einen Markt schaffen, dann entsteht Anbietervielfalt. Am Ende öffnen auch andere Netzanbieter, wie die (Deutsche) Telekom, ihr Netz und bieten ihre Dienstleistungen in den Glasfasernetzen der lokalen Carrier an.
Der Artikel wird in dem nächsten aconium-Newsletter fortgesetzt. Erfahren Sie dann mehr zu Details und Ausprägungen einzelner Geschäftsmodelle.
Von Mikael Häußling Löwgren, Schwedische Glasfaser-Allianz. Die Originalfassung des Beitrags ist in Cable!vision Europe 02/2021 erschienen.
Die Schwedische Glasfaser-Allianz ist eine Initiative des Verbandes „Svenska Stadsnätsföreningen“ für den Wissensaustausch zum Thema Glasfaser zwischen Schweden und Deutschland. „Svenska Stadsnätsföreningen“ ist ein Branchen- und Interessenverband. Die Mitglieder sind lokale Carrier in fast 200 der 290 schwedischen Kommunen sowie 135 Anbieter von Netz-Dienstleistungen und -Ausrüstungen.
Hintergrund der Recherche: Im Frühjahr 2020 starteten die schwedische Glasfaser-Allianz und BUGLAS ein Projekt, eine GAP-Analyse, die die Geschäftsmodelle zwischen den schwedischen lokalen Carriern und den deutschen lokalen Carriern verglichen. Das BUGLAS-Mitgliedsunternehmen Troiline GmbH war am Projekt aktiv beteiligt. Die GAP-Analyse würde für BUGLAS Mitgliedsunternehmen in einem Webbinar vorgestellt und diskutiert.
Mikael Häußling Löwgren ist schwedischer Telekommunikationsingenieur, Wirtschaftswissenschaftler und Vorsitzender der Initiative „Schwedische Glasfaser-Allianz“.Mikael hat mehr als 30 Jahre deutsch-schwedische Vertriebs- und Unternehmenserfahrung. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit der Entwicklung des zivilen Glasfasermarktes in Schweden und Deutschland. Er kennt sich mit dem Thema in beiden Ländern also sehr gut aus, kann profunde Vergleiche aufstellen und entsprechende Bilanz ziehen.
Schwedische Glasfaser Allianz
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