Foto: Dr. Alexander Barthel, Leiter der Abteilung Wirtschaft, Energie und Umwelt, ZDH (Copyright Ortrud Stegner)

Die Digitalisierung hält immer mehr Einzug ins Handwerk. Doch welche Rolle spielen bereits jetzt digitale Anwendungen und virtuelle Prozesse in Handwerksbetrieben? Im aconium-Interview „5 Antworten“ erklärt Dr. Alexander Barthel, Leiter der Abteilung Wirtschaft, Energie und Umwelt, vom Zentralverband des Deutschen Handwerks, worin Herausforderungen und Chancen der Digitalisierung für den täglichen Betrieb liegen und wie ein durchdachtes E-Government die Effizienz der Prozesse steigern kann.

aconium: Welche Rolle spielt die Digitalisierung aktuell im Handwerk? In welchen Bereichen wird sie in Handwerksbetrieben bereits genutzt?

Dr. Barthel: Zum einen ist die Handwerkswirtschaft sehr vielgestaltig. Sie umfasst folgende Bereiche: Bau und Ausbau sowie Anlagentechnik, den Kfz-Bereich, die Lebensmittel- sowie die Gesundheitshandwerke, Industriezulieferer wie auch die Handwerke für den persönlichen Bedarf, wobei die Spanne hierbei vom Friseur bis zum Goldschmied reicht. Zwischen diesen Bereichen unterscheiden sich die Marktbeziehungen wie auch die jeweiligen handwerklichen Leistungen sowie die hierfür genutzten Technologien sehr stark. Das hat großen Einfluss darauf, in welcher Form digitale Instrumente genutzt werden können und dann auch genutzt werden.

Dabei ist zum anderen auch der Begriff der Digitalisierung sehr weit aufgefächert. Hierfür im handwerklichen Kontext nur einige Beispiele: Nahezu jeder Handwerksbetrieb nutzt digitale Kommunikation wie E-Mails oder vielfach für den Verkauf auch Onlineshops. Das digitale Aufmaß, beispielsweise durch die Nutzung einer Drohne, ist im Baubereich ein wichtiges digitales Werkzeug geworden. Der Baubereich insgesamt wird zudem zunehmend durch das sogenannte Building Information Modeling geprägt. Hier wird das Bauvorhaben durchgängig digital modelliert und daran knüpfen dann auch die konkreten Bautätigkeiten an. Der 3D-Druck findet zum Beispiel Anwendung im Modellbau, in den anlagentechnischen Gewerken, den Gesundheitshandwerken oder auch in Konditoreien – dort können so rasch neue Pralinengussformen erstellt werden. Manche Tischlerei setzt Robotik ein. In den Gesundheitshandwerken, aber auch bei Schustern werden zunehmend 3D-Scanner genutzt. „Augmented Reality“ wie auch „Virtual Reality“ werden zum Beispiel in der Elektro- wie auch Heizungstechnik und im Anlagenbau ebenso wie im Malerhandwerk oder von Raumausstattern zunehmend genutzt. Dies sind nur kurze Schlaglichter auf eine äußerst vielgestaltige Wirklichkeit!

Der Einsatz der jeweiligen neuen digitalen Werkzeuge hängt dabei sehr stark vom jeweiligen Gewerk und dessen Wertschöpfungsprozessen und den daraus erwachsenden Anforderungen ab. Vielfach gewerkunabhängig sind demgegenüber zum Beispiel Softwareprogramme, die helfen, die betrieblichen Abläufe zu optimieren. Das betrifft beispielsweise das Rechnungswesen, die Auftragsverwaltung oder auch das Management von Personal Fuhrpark oder auch Lager. Auch in diesen Bereichen hält die Digitalisierung deutlichen Einzug in die Handwerkswirtschaft.

Zunehmend kommen auch höchst innovative neue digitale Ansätze in das handwerkliche Blickfeld: Das Internet der Dinge, die Blockchain-Technologie wie auch die sogenannte Künstliche Intelligenz werden für nicht wenige Handwerke von entscheidender Bedeutung für die Zukunft der jeweiligen Betriebe sein. Wichtige Stichworte hierbei sind die vorausschauende Wartung wie auch die Fern-Wartung. Hierfür benötigen die Handwerksunternehmen den Zugang zu den entsprechenden Daten aus Pkw, landwirtschaftlichen Nutzfahrzeugen oder gebäudetechnischen Anlagen. Diese müssen entsprechend gesammelt, systematisiert und aufbereitet werden, damit aus den Daten dann auch die relevanten Informationen gewonnen werden können. Der Gesetzgeber hat Anfang des Jahres mit einer Novelle des Gesetzes gegen Wett­bewerbs­beschränkungen erfreulicherweise klargestellt, dass Handwerksbetriebe einen Zugang zu solchen für ihre Geschäftsmodelle relevanten Daten erhalten können – dies natürlich stets unter strikter Wahrung der Vorschriften zum Datenschutz.

aconium: Gibt es Unterschiede in der Digitalisierung zwischen großen, mittleren und kleinen Unternehmen? Wo liegen bei kleinen und mittelständischen Unternehmen die Herausforderungen in der Digitalisierung?

Dr. Barthel: Je größer ein Unternehmen ist, umso größere Spezialisierungen der Mitarbeiter sind möglich, bis hin zur Einrichtung gesonderter Abteilungen oder Stäbe, die sich speziell mit Digitalisierungsfragen beschäftigen. Die Durchschnittsgröße der Handwerksbetriebe beträgt rund fünf Beschäftigte, insgesamt 80 Prozent aller Handwerksbetriebe haben bis zu 20 Beschäftigte. In diesen Unternehmen muss sich der Betriebsinhaber gleichsam „um alles“ kümmern. Vielfach hat er – neben seiner originären Tätigkeit als Handwerker und „Chef vom Ganzen“ – nur sehr begrenzte Zeit, sich mit spezifischen Digitalisierungsfragen zu beschäftigen. Zudem fehlen oft auch die spezifischen Detailkompetenzen, um teilweise weitreichende Digitalisierungsentscheidungen zu treffen wie beispielsweise die Einrichtung eines passfähigen Betriebsnetzwerks, die Gewährleistung hinreichender IT-Sicherheit oder die Entwicklung digital gestützter neuer Dienstleistungen. Bei einigen Handwerkerinnen und Handwerkern fehlt manchmal auch noch das Verständnis für die Chancen und die Relevanz neuer digitaler Instrumente und Verfahren für die künftige Wettbewerbsfähigkeit des Betriebs.

Genau an diesen Punkten setzt das Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk an. Dabei handelt es sich um ein vom BMWi gefördertes Förderprojekt im Rahmen der Initiative „Mittelstand digital“. Aktuell gibt es in Oldenburg, Krefeld, Koblenz, Bayreuth und Dresden digitale „Schaufenster“. Diese entwickeln als unmittelbare Anlaufpunkte für Handwerksbetriebe zusammen mit dem ZDH und dem Heinz-Piest-Institut in Hannover Materialien und sonstige Informationsformate, mit denen Handwerksbetriebe sowohl grundsätzlich für Digitalisierungsfragen sensibilisiert werden als ihnen auch konkrete Informationen und spezifische Qualifizierungsangebote an die Hand gegeben werden. Über die Handwerksorganisation mit den Handwerkskammern und den Fachverbänden des Handwerks wie auch über die dort tätigen Berater – die technischen und betriebswirtschaftlichen Berater sowie die Beauftragten für Innovationen und Technologietransfer, die dabei teilweise einen besonderen Kompetenzschwerpunkt in Digitalisierungsfragen haben – werden diese Angebote und konkrete betriebliche Unterstützung in Digitalisierungsfragen bundesweit zur Verfügung gestellt. Ein Blick auf die Internetseite des Mittelstand-Digital Zentrum Handwerk vermittelt einen guten Überblick über dessen Methoden, Inhalte und Aktivitäten.

aconium: Inwiefern kann Digitalisierung zur Verbesserung der Geschäftsprozesse und der Kommunikation in Handwerksbetrieben beitragen? Welche Unterstützungs- und Informationsangebote können die Betriebe zur Digitalisierung dieser Prozesse nutzen?

Dr. Barthel: In jedem Fall können einschlägige Softwarelösungen dazu beitragen, die betrieblichen Abläufe wie auch die innerbetriebliche Kommunikation zu verbessern. Das trifft zumindest dann zu, wenn es keine Insellösungen zum Beispiel für das Personalmanagement sind, sondern die unterschiedlichen Organisationsbereiche des Betriebs miteinander vernetzt werden, so dass beispielsweise mit der Annahme eines Auftrags dann automatisch auch die erforderlichen Materialien – gegebenenfalls mit der Bestellung beim Lieferanten – identifiziert werden und der Arbeitsplan für die Auftragserfüllung erstellt wird. Das komplette digitale Baustellenmanagement ist ein weiteres anspruchsvolles Beispiel.

Der große Vorteil solcher übergreifenden digitalen Ansätze ist, dass dabei die entscheidungsrelevanten Informationen für alle, die am jeweiligen Prozess beteiligt sind, auch tatsächlich verfügbar gemacht werden können und erforderliche Arbeitsschritte in die Wege geleitet werden. Da Handwerker vielfach auf Baustellen oder bei Kunden aktiv sind, setzt dies dann aber auch die Nutzung mobiler Endgeräte voraus.

Die große Herausforderung für viele Betriebe ist dabei allerdings, dass zunächst einmal Klarheit über die betrieblichen Arbeitsschritte mit deren Verästelungen und Wechselseitigkeiten, Informationsflüssen und jeweils Beteiligten gewonnen werden muss, bevor darauf dann die jeweilige Software aufgesetzt wird: Wer muss in welchem Zusammenhang wann und wo was wissen? Bereits in dieser konzeptionellen Phase kann die geplante Digitalisierung der Organisationsprozesse vielfach manche innerbetrieblichen Optimierungspotenziale aufzeigen.

aconium: Inwieweit werden in handwerklichen Betrieben bereits Schulungen zum Thema digitale Anwendungen, wie Verwaltungssoftware angeboten und genutzt?

Dr. Barthel: Handwerkskammern, Fachverbände und Innungen vor Ort bieten zahlreiche Weiterbildungsangebote zum Umgang mit neuen digitalen Instrumenten an: Das reicht vom Drohnenführerschein bis hin zur Nutzung von CAD/CAM-Lösungen zum Beispiel in Betrieben des Metallhandwerks oder in Tischlereien. Die Betriebsberater der Handwerksorganisation werden zudem kontinuierlich weitergebildet, so dass viele von ihnen den Betrieben lebenspraktische Unterstützung anbieten können. Zudem ist grundsätzlich zu bedenken, dass die Aus- und Weiterbildung im Handwerk stets daraufhin ausgerichtet wird, auch den aktuellen Stand neuer Technologien zu vermitteln.

Bei Softwarelösungen, die auf die digitale Unterstützung und Optimierung der betrieblichen Abläufe abzielen, sind es demgegenüber in der Regel die jeweiligen Softwarehäuser, die die entsprechenden Programmlösungen entwickelt haben und auf den Markt bringen. In der Regel sind sie diejenigen, die ihren Kunden die erforderlichen Informationen oder auch Schulungen zur Verfügung stellen, damit ihre Produkte vor Ort auch zielgerichtet genutzt werden können.

aconium: Wie sieht Ihre Vision eines E-Governments im Handwerk der Zukunft aus?

Dr. Barthel: Hier soll es in der Antwort tatsächlich um das E-Government im wortwörtlichen Sinn gehen, also um innovative Verfahren und Methoden zur Digitalisierung des Verwaltungshandelns der öffentlichen Hand gerade auch gegenüber Handwerksbetrieben. Die Digitalisierung birgt hier gleichfalls erhebliche Effizienz- und Beschleunigungsvorteile. Nur: Die Entwicklung dieses Bereichs leidet zumindest bisher vielfach darunter, dass es weder auf den unterschiedlichen föderalen Ebenen noch auf den einzelnen Ebenen – und hierbei gerade auch auf Länder- und kommunaler Ebene – untereinander ein tatsächliches gemeinsames Verständnis über das Ob und das Wie gibt. Durchaus substanzielle Hoffnung setzen wir in diesem Zusammenhang auf das im kommenden Jahr vorgesehene Onlinezugangsgesetz.

Aktuell zeigt sich in der Corona-Pandemie leider sehr deutlich, dass der Digitalisierungsgrad in den öffentlichen Verwaltungen noch bei Weitem nicht den Erfordernissen des Betriebsalltags und der Geschäftstätigkeit entspricht, etwa bei der Bearbeitung von Bauanträgen, Genehmigungen zum Gerüstaufbau, Kfz-Zulassungen oder Sterbeurkunden. Dies beeinträchtigt vielfach die Leistungserbringung von Handwerkbetrieben. Die Digitalisierung des Verwaltungshandelns muss daher dringend ausgebaut und verstärkt werden – im Hinblick auf die Technologie, die Verfahren und die Fachkompetenz derjenigen, die in den Verwaltungen tätig sind.

Damit E-Government tatsächlich funktioniert, sind zudem entsprechende flächendeckende Standardisierungen notwendig wie auch passfähige Schnittstellen untereinander und zu den „Verwaltungskunden“. Gleichfalls muss mit bedacht werden, dass die Einführung neuer digitaler Verfahren und Methoden in das Verwaltungshandeln tatsächliche Erleichterungen für die Unternehmen bewirken muss. Keinesfalls dürfen beim E-Government neue Anforderungen an die Betriebe definiert werden, die im Gesamtergebnis zu Mehrbelastungen gegenüber dem status-quo führen.

Noch etwas in Sachen Corona-Krise beziehungsweise dem hierdurch ausgelösten digitalen Innovationsschub: Die Handwerksorganisation – also die Handwerkskammern und die Fachverbände des Handwerks bzw. die Fachinnungen oder auch die Kreishandwerkerschaften vor Ort – ist gerade selbst intensiv dabei, digitale Lösungen im Bereich der Fachkräftesicherung für das Handwerk zu implementieren. Das betrifft neue Formate und Methoden des digitalen Lernens, digitale Prüfungen, digitale Berufsorientierung und Mitarbeiterrekrutierung.

Einher geht das mit der digitalen „Aufrüstung“ unserer überbetrieblichen Bildungsstätten sowohl in den dortigen Klassenzimmern als auch in den Lehrwerkstätten. Das Handwerk versteht sich als der „Ausbilder der Nation“ und will auch in diesem Bereich Vorreiter sein.