Die Stadt Kempten ist nicht nur ein Zentrum für Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung im Allgäu. Als Oberzentrum kommt ihr auch eine zentrale Versorgerrolle zu. Um den Herausforderungen durch den innerstädtischen Strukturwandel, den Klimawandel, die Corona-Pandemie und einer hohen Verkehrsbelastung besser begegnen zu können, setzt Kempten auf die Transformation zur digital nachhaltigen Stadt.
Maßgeblich verantwortlich ist dafür Thomas Volkwein, der Leiter der Stabsstelle Digitale Stadtentwicklung. Wir trafen ihn zum Digitaltag Kempten an unserem aconium-Infomobil.
Herr Volkwein, Kempten setzt bei der Digitalisierung der Daseinsversorgung auf das Konzept des Digitalen Zwillings. Welchen Vorteil versprechen Sie sich davon?
Der digitale Zwilling dient der gezielten und nachhaltigen Stadtentwicklung: Er eröffnet ganz neue Möglichkeiten zur Datenanalyse. Zum Beispiel können wird im Baurecht mit einem Grundstück jetzt auch alle damit verwandten Informationen verschneiden, etwa den Zuständigen für Bauanfragen, die Bebauungspläne mit allen Änderungen bis hin zu denkmalgeschützten Bäumen. So können wir dank des digitalen Zwillings mit einer einzigen Abfrage alle relevanten Informationen abrufen. Früher musste dafür ewig herumgesucht werden.
Jetzt muss noch die Sensorik dazu kommen, um dieses digitale Abbild der Stadt Kempten mit Echtzeitdaten ans Leben anzubinden. Dann wäre der digitale Zwilling perfekt.
Was ist auf Kemptens Weg zum digitalen Zwilling derzeit eine Herausforderung?
Das ist sicherlich die Datenmodellierung, gemäß dem weltweit geltenden 3D-Stadtmodellierungsstandard CityGML des Open Geospatial Consortiums. Im CityGML-Standard sind Gebäude heute schon relativ stark definiert. Aber wie modelliere ich einen Straßenraum? Was gehört alles dazu und wie baue ich das alles zusammen, damit ich diese Informationen wie bspw. Verkehrssituationen entsprechend analysieren kann? Solche Standards zu definieren ist die Aufgabe von Institutionen und Konsortien wie dem Open Geospatial Consortium.
Was bedeutet diese Modellierung in der Praxis?
Wichtig ist, dass möglichst alle relevanten Daten miteinander verschnitten werden. Dazu muss ich zum Beispiel einen Straßenraum nicht nur als Straße mit Gehweg sehen, sondern auch seine Anschlussgebäude integrieren. Dazu kommt die Information aus der Tiefe, zum Beispiel die Wasserkanäle und andere Infrastrukturen. Wenn ich heute zum Beispiel für den Straßenbelag einen Sanierungsbedarf in 6 Jahren prognostiziere – dann muss diese Information auch sofort an die Stellen für Kanäle, Gas und Wasser gehen. Dann können zum Beispiel die Stadtwerke sagen: „Klasse! In sechs Jahren bemühen wir uns um eine Kanalsanierung.“
Wenn aber zwei Jahre später ein Baugebiet angeschlossen wird und daraus eine deutlich höhere Straßenbelastung folgt, dann muss der Straßenbelag vielleicht schon in vier Jahren saniert werden. Wenn diese Information nun auch an die für die Kanalarbeiten verantwortliche Stelle gehen, vermeiden wir, dass nach vier Jahren erst die Straße neu gemacht und diese dann nach zwei weiteren Jahren wieder für die Kanalsanierung aufgeschnitten wird.
Deswegen ist es wichtig, dass wir nicht nur die Gebäude, sondern auch alle dazugehörigen Treppen, Tunnel, Straßen und Kanäle in diesem Standard definieren und modellieren. Das sind die Fragen, die uns derzeit beschäftigen. Aber sie sind essenziell, damit wir am Ende ein echtes City Information Modelling and Management mit einem Digitalen Zwilling der Stadt Kempten betreiben können.
Vielen Dank für das Interview.