Am Fraunhofer-Projektzentrum MEOS arbeiten Wissenschaftler:innen an der Früherkennung von Krankheiten wie COVID-19. Wie digitale Vernetzung die Forschung verändert, beschreibt MEOS-Leiter Dr. Michael Scholles im Interview.

Herr Dr. Scholles, am Fraunhofer-Projektzentrum für Mikroelektronische und Optische Systeme für die Biomedizin (MEOS) beschäftigen Sie sich unter anderem mit COVID-19. Woran arbeiten Sie konkret?

Dr. Michael Scholles: Bei COVID-19-Patient:innen kann sich der Gesundheitszustand sehr rasch verschlechtern. Gleichzeitig gibt es aktuell im Klinikalltag auf Normalstationen keine adäquaten technischen Möglichkeiten, mit denen sich diese Verschlechterung vorhersehen lässt. Hier setzt unser Projekt M³Infekt an: Über Sensoren können wir verschiedenste Vitalparameter bei Betroffenen messen. Künstliche Intelligenz erkennt dann anhand der Datenlage, wie sich der Zustand der Erkrankten in naher Zukunft entwickeln wird. Mediziner:innen wissen dadurch sehr frühzeitig, ob und wann ein:e Patient:in von der Normal- auf die Intensivstation verlegt werden muss. So gewinnen wir wertvolle Zeit. Derzeit befindet sich das System allerdings noch in der Erprobungsphase.

Eignet sich ein solches System auch zur Ferndiagnose – also für Patient:innen, die mit einer Erkrankung zu Hause sind?

Scholles: Das ist sicher ein Fernziel bei diesem System, das sich auch für viele Fälle abseits von COVID-19 anbietet. Neben der technischen Weiterentwicklung müssen dafür aber die externen Voraussetzungen stimmen: Dafür brauchen wir eine digitale Infrastruktur mit hohen Bandbreiten und hinreichend kleinen Latenzen. Im ländlichen Raum, wo solche Instrumente besonders gut einzusetzen wären, ist diese Infrastruktur häufig noch nicht im nötigen Ausmaß vorhanden.  

Für M³Infekt haben sich Fraunhofer-Institute an unterschiedlichen Standorten mit ihren Entwicklungen zusammengetan. Welche Rolle spielt die digitale Infrastruktur in Ihrem Forschungsalltag?

Scholles: Eine funktionierende digitale Infrastruktur ist für uns und unsere Arbeit eine Grundvoraussetzung. Die Wissenschaftler:innen am Fraunhofer Projektzentrum MEOS kommunizieren ständig mit ihren Stamminstituten in Dresden, Jena und Leipzig. Kommunizieren heißt in diesem Fall vor allem: Es werden Daten in größeren Mengen ausgetauscht. Dafür benötigt man natürlich eine gute digitale Anbindung. Gerade im wissenschaftlichen Bereich kann es sehr wichtig sein, dass die Latenzen beim Datenaustausch gering sind, es praktisch einen Austausch in Echtzeit gibt.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch die Digitalisierung verändert?

Scholles: Der Big-Data-Ansatz, große Datenmengen zu erheben, elektronisch zu verarbeiten und mehrere bestehende Forschungsvorhaben zu einem neuen zusammenzuführen, wäre ja noch vor zehn Jahren nicht möglich gewesen. Damals konnten wir zwar Vitalparameter schon digital erheben, etwa über Smartwatches und ähnliche Geräte. Der große Unterschied: Diese Daten wurden lokal gespeichert, Nutzer:innen konnten den Puls oder Warnungen vor kritischen Gesundheitszuständen nur auf dem Display der Uhr ablesen. Heute lassen sich Systeme vernetzen, die Datendurchlässigkeit ist sehr hoch – zumindest theoretisch.

Sie sprechen den Datenschutz an. Wie beeinflusst das Thema und die Debatte um Datensicherheit im Gesundheitswesen die Forschung?

Scholles: Es ist ja zweifellos ein Unterschied, ob im Rahmen von Big Data mein Kaufverhalten aufgezeichnet wird oder meine Gesundheits- und Vitalparameter. Insofern bedarf es im medizinischen Bereich auch spezieller hochsicherer Systeme, um das Vertrauen der Menschen zu gewinnen. Ein ganz wichtiger Punkt dabei: Bei der Entwicklung neuer Systeme muss Datensicherheit von Anfang an mitgedacht werden – privacy by design, also. Nur so kann man künftig im Gesundheitsbereich erfolgreich sein.